Herr Windsperger, Sie sind der Trauerfeier zu Ehren von Franz Beckenbauer in der Allianz Arena ferngeblieben. Warum?
Das ist mir zu viel Trubel. Wenn sich die große Aufregung gelegt hat, werde ich in aller Ruhe und Stille sein Grab besuchen und mich verabschieden.
Wie haben Sie Franz Beckenbauer kennengelernt?
Wir haben uns im Sommer 1959 in der Bayerischen Versicherungsbank getroffen. Die BVB war damals eine Tochtergesellschaft der Allianz, in der ein großer Teil des Sachversicherungsgeschäfts gebündelt war, also ein Vorläufer der heutigen Allianz Versicherungs-AG. Das war während unserer Aufnahmeprüfung. Die fand damals den ganzen Tag in den Räumen am Hauptsitz in der Theresienstraße in München statt.
Was hat er für einen Eindruck auf Sie gemacht?
Er war sehr schüchtern. Aber ich auch. Wir beide waren auch mit Abstand die Jüngsten. Gerade mal 14 Jahre alt. Und wir waren die Einzigen, die nur einen Volksschulabschluss hatten. Die andern hatten alle ihre Mittlere Reife und waren schon um die 16.
Warum durften Sie trotzdem an der Prüfung teilnehmen?
Weil wir beide super Abschlusszeugnisse hatten. Es heißt ja immer, dass der Franz seine Ausbildung nie so ernst genommen hat. Das stimmt auch in gewisser Weise. Aber er war ein sehr schlauer Schüler. In der Volksschule hatte er gute Noten.
Aber Sie waren auch sehr gut. Ihre Ausbildung haben Sie 1962 mit Auszeichnung abgeschlossen.
Das stimmt. Ich habe meine Handelskammerprüfung als bester Lehrling von München und Oberbayern abgeschlossen.
War die Lehrzeit bei der Allianz sehr schwer?
Ja. Wir hatten sehr strenge Lehrer, und die Ausbildung war sehr umfangreich. Wir hatten einmal die Woche Berufsschule und Abteilungsunterricht, einen Tag die Woche Schadensunterricht, Stenografie, Maschinenschreiben und Hausunterricht. Dazu gab es aber sehr schöne Lehrfahrten in die Umgebung, wo wir die Chance hatten, die anderen Allianz Lehrlinge besser kennenzulernen. Die anderen Berufsschüler:innen haben uns beneidet, dass wir so vieles lernen durften. Franz und ich waren ja in der Berufsschulklasse die Einzigen von der Allianz. Die anderen kamen von anderen Versicherungen.
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Was haben Sie sich von ihrem ersten Lehrlingsgehalt gekauft?
Ich habe damals 69 Mark im Monat verdient. Davon gingen 16 Mark für die Bahnfahrkarte ab, weil ich ja am Anfang immer von meinem Wohnort Wolfratshausen nach München gependelt bin. Vom restlichen Geld habe ich mir tatsächlich meinen ersten Anzug gekauft. Ein dunkelgraues Teil mit feinen Streifen. Dafür bin ich mit meiner Mutter zu C&A nach München gefahren.
Den mussten sie für die Arbeit tragen?
Ja. Damals mussten alle Männer mit Anzug und Krawatte ins Büro kommen. Ich weiß noch, wie ich diesen Anzug dann das erste Mal auf dem Weg zur Arbeit getragen habe. Es hat stark geregnet. Als ich bei der Allianz ankam, war die Hose unten zehn Zentimeter kürzer. Es war leider nicht der beste Stoff. (lacht)
Haben Sie während Ihrer Lehrzeit viel mit Franz Beckenbauer zu tun gehabt?
Wir wurden dicke Freunde. Obwohl er am Anfang ja schüchtern war, konnten wir prima über Fußball sprechen. Das war unsere gemeinsame Leidenschaft. Da taute er auf. Er spielte ja schon in der B-Jugend beim FC Bayern. Was ich besonders genossen habe, waren die gemeinsamen Pausen bei ihm Zuhause in Giesing.
Was haben Sie dort gemacht?
Zusammen gegessen und Fußball gespielt. Seine Mutter hat immer für uns Mittagessen gekocht. Ich war schon ein halber Sohn für sie. Am liebsten mochten wir ihre Petersilienkartoffeln mit gebratenem Rindfleisch. Danach ging es für ein halbes Stündchen zum Kicken. Franz wohnte in einem alten Haus am Ostbahnhof. In der Nähe gab es einen kleinen Ascheplatz. Da haben wir immer zu zweit gekickt. Das machten wir so einmal die Woche, wenn wir aus Harlaching am Vormittag vom Versicherungsunterricht kamen. Da hatten wir drei Stunden Zeit, bis wir am Nachmittag dann nach Steinhausen ans andere Ende der Stadt mussten. Dort hatten wir dann Stenografie und Maschinenschreiben.
War Franz Beckenbauer ein guter Stenografie-Schreiber?
Nun, er war ein besserer Maschinenschreiber. Da haben wir uns gegenseitig geholfen. Ich konnte Steno besser. Irgendwie hatte er es nicht so mit Abkürzungen beim Schreiben. Selbst auf seinen Autogrammkarten hatte er als Spieler immer mit vollem Namen unterschrieben. Obwohl der ja relativ lang war.
Sie sagten, dass Franz Beckenbauer manchmal seine Ausbildung nicht ganz so ernst genommen hatte. Wie äußerte sich das?
Nun, den Franz nannten wir alle nur Billy the Kid, weil er in der letzten Reihe sehr oft heimlich Wildwestromane gelesen hatte. (lacht)
Am Ende hat er dann aber wie Sie seine Ausbildung abgeschlossen und in der Kraftbetriebsabteilung der Allianz gearbeitet. Hat man als Sachbearbeiter damals eigentlich mehr Autounfälle als heute bearbeitet? Immerhin gab es noch keine Anschnallpflicht, und auch mit dem Alkohol am Steuer nahm man es in Deutschland noch nicht so ernst.
Nein. Die Anschnallpflicht kam zwar erst 1970, und die Promillegrenze war 1953 bei 1,5 und wurde erst 1973 auf 0,8 gesenkt. Aber in den 50er- und 60er-Jahren gab es auch noch nicht so viele Autos wie heute. Außerdem konnten die alten Automodelle noch nicht so schnell fahren, und sehr viele Straßen glichen eher einer Buckelpiste als einer glatten Asphaltbahn. Das hat das Tempo automatisch gedrosselt. (lacht)