15.04.2024

»Die Entscheidung hat uns sehr schockiert«

Überraschende Premiere: Breaking ist zum ersten Mal olympisch. 32 Athlet:innen werden sich in diesem Sommer in Paris batteln. Als Sportdirektorin des Deutschen Tanzsportverbands vertritt Antonia Neher die neue Disziplin. Im Interview erzählt sie über den Weg ins olympische Programm, die Herausforderungen für den Verband und wie es nach den Spielen weitergeht.

Zur Person

Antonia Neher ist Sportdirektorin beim Deutschen Tanzsportverband und dort zuständig für den Leistungssport, derzeit vor allem für den Bereich Breaking. 2023 unterstützte sie die Tänzer:innen bei einigen Turnieren als Betreuerin, da es in diesem Bereich sehr wenige weibliche Fachkräfte gibt. In ihrer aktuellen Funktion schaut sie, was gut läuft, was verbessert werden muss, wo Unterstützung oder Personal benötigt wird.

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Wie wurde Breaking olympisch?
Jeder Ausrichter der Olympischen Spiele hat die Möglichkeit, fünf weitere Sportarten zu benennen, die ins Programm sollen. Paris hat neben Kajak-Cross und Formula Kite Breaking ausgewählt. Nach der Entscheidung ging es auf deutscher Seite darum, welcher Verband für diese Sportarten zuständig ist. Da wir sowohl Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als auch in unserem Weltverband, der World DanceSport Federation (WDSF), sind, haben wir 2019 den Zuschlag bekommen. 

Wie finden Sie das?
Wir haben uns sehr gefreut und es auch als große Chance für den Verband gesehen. Schließlich ist es das erste Mal in der Geschichte, dass eine Tanzdisziplin olympisch wird. So können wir die junge Lebensart aufgreifen und selbst moderner werden. Aber es ist natürlich bis heute mit viel Arbeit verbunden. 

Worin bestand die größte Herausforderung?
Breaking war weder ein Teil des strukturierten Sports noch eine Disziplin, die zu unserem Verband gehörte. Das heißt, wir mussten schauen, wie wir Zugang zu den Tänzer:innen bekommen, damit sie Mitglied in einem Verein werden und auch an Ranglistenturnieren teilnehmen. Das gab es vorher nicht und war auch für die Szene etwas ganz Neues. Beim Breaking tanzt und trainiert jede und jeder für sich. Auch mussten wir strukturelle Vorgaben des DOSB erfüllen. Das heißt: Wie berufe ich einen Kader, oder wie sieht die Wertung bei Turnieren aus? Das alles mussten wir quasi von Grund auf neu aufbauen. 

»Es gab auch Tänzer:innen, die das boykottiert haben«

Antonia Neher, Sportdirektorin beim Deutschen Tanzsportverband

Gab es auch negative Stimmen zu der Entscheidung, dass Breaking jetzt olympisch ist?
Ja, es gab auch negative Stimmen: »Man nehme ihnen die Freiheit am Tanz.« Wir haben ja bestimmte Regularien, nach denen die Tänzer:innen bewertet werden, und die schränken natürlich ein. Damit können manche nicht umgehen und wollen bestimmte Moves nicht nur für eine gute Punktzahl bekommen. Es gab auch welche, die das boykottiert haben. Aber viele haben es auch als Chance gesehen, sich oder die Sportart zu repräsentieren. 

Wie wird Breaking in Deutschland aktuell wahrgenommen?
Ich denke, dass wir durch die Aufnahme in das olympische Programm eine hohe mediale Aufmerksamkeit bekommen haben. Insofern können wir uns nicht beklagen. Toll wäre es, wenn Kinder oder Erwachsene Breaking im Fernsehen sehen und es dann ausprobieren wollen. Wenn das Interesse da ist, könnten die Vereine auch mehr Kurse anbieten. Das wäre natürlich auch für uns ein Mehrwert. Wir haben jetzt mit den ersten Trainerausbildungen begonnen, damit es auch lizenzierte Fachkräfte gibt, die die Vereine unterstützen können. In Zukunft möchten wir auch mit Sportpsycholog:innen noch intensiver zusammenarbeiten.

Inwiefern sind Sportpsychologinnen und -psychologen bei dieser Tanzsportart so wichtig?
Ähnlich wie beim Turnen haben die Tänzer:innen auch beim Breaking ihre festen Abfolgen im Kopf, die sie zeigen möchten. Durch starke Nervosität kann es passieren, dass sie einen Blackout haben und das Set abbrechen. Mentaltrainer:innen oder Sportpsycholog:innen helfen ihnen, mit solchen Situationen gut umgehen zu können. 

Für Jilou ist Paris die einzige Chance, bei Olympia dabei zu sein. Denn bei den nächsten Spielen 2028 in Los Angeles ist Breaking nicht gesetzt. Wie beurteilen Sie das?
Der Beschluss, dass Los Angeles Breaking nicht im Programm haben will, ist Mitte Oktober 2023 gefallen. Die Entscheidung hat uns sehr schockiert, weil die Sportart ursprünglich aus Amerika kommt. Wir haben eigentlich fest damit gerechnet, dass sie in vier Jahren erneut dabei ist. Los Angeles hat sich für fünf Sportarten entschieden, die in den USA sehr viele Zuschauer anziehen und die Stadien füllen. Das sind Baseball-Softball, Cricket, Flag Football, Lacrosse und Squash. Breaking ist noch eine zu kleine Sportart, mit nur 32 Athlet:innen in Paris. Eine konkrete Begründung haben wir für diese Entscheidung aber nicht bekommen. 

Wird es trotzdem für Breaking eine sportliche Zukunft geben?
Wir haben natürlich viel Arbeit in die ganze Organisation und Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Paris gesteckt und wissen jetzt, dass es mindestens acht Jahre dauern wird. Nach der Bekanntgabe mussten wir der Szene und unseren Athlet:innen, die schon fest etabliert sind, erklären, wie es weitergeht. Aber auch ohne Olympia wird es den strukturierten Sport und Weltmeisterschaften geben. Der nächste internationale Wettkampf sind dann die World Games 2025, quasi die Olympischen Spiele für die nicht-olympischen Sportarten. Dort sind auch unsere anderen Tanzsportarten zu Hause. Und wir sind nach wie vor gesetzt für die Youth Olympic Games 2026. Unsere Arbeit war nicht ganz umsonst.

Wie sieht es aus finanzieller Sicht aus? Wie kann der Sport in den nächsten Jahren weiterhin im Fokus stehen, und wie können sich die Tänzer:innen finanziell abgesichert fühlen?
Auf dem Level bleiben zu können, ist gar nicht so leicht. Wir werden schon damit zu kämpfen haben. Auch wird sich der Status des Verbands wieder ändern. Wir gehören dann nicht mehr zum olympischen Spitzensport, was Einfluss auf die finanzielle Förderung hat. Aktuell sind wir ein vorolympischer Verband. Das heißt, wir bekommen andere Zuschüsse als nicht-olympische Verbände. Nach den Olympischen Spielen in Paris werden wir wieder als nicht-olympischer Verband gelistet. Wenn Breaking 2032 erneut dabei ist, fangen wir im Prinzip wieder von vorne an. Das wird drei bis vier Jahre im Vorfeld bekannt gegeben. Wenn ja, bekommen wir erneut den olympischen Status und eine stärkere finanzielle Förderung. Diese vier vorolympischen Jahre sind toll, und wenn man dann herausrutscht, dann sind die nächsten vier Jahre meistens mühsamer. Wir haben da leider sehr wenig Planungssicherheit. 

Text Maria Dünninger
Foto Maurice Stach

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