Ein Rettungsring hängt griffbereit am Rand eines Schwimmbeckens.Ein Rettungsring hängt griffbereit am Rand eines Schwimmbeckens.

26.08.2021

Wo der Willi wacht, da geht man gerne baden

Willi Will ist Bademeister im Münchner Cosimawellenbad. Und zwar ein ganz besonderer: Keiner kennt sich besser aus mit Bade- und Schwimmregeln, die jeder von uns beherrschen sollte, denn keiner ist länger dabei. Seit über 45 Jahren wacht Willi, wie ihn alle hier nur nennen, über das Leben hunderttausender Badegäste

Zur Person

Willi Will arbeitet bereits seit 45 Jahren als Bademeister – 32 davon hat er im Münchner Cosimawellenbad verbracht.

Die Nachricht erreicht mich auf dem Heimweg vom Cosimawellenbad per WhatsApp: Es ist Willi. »Servus Joern, heute um 18 Uhr war es wieder so weit. Ein elfjähriger Junge ist vom Einmeterbrett ins dreieinhalb Meter Tiefe Wasser gesprungen. Und ging dann unter wie ein Stein. Bin schnell reingesprungen, kurzer Befreiungsgriff, wie ich es dir erklärt habe, und ab an den Beckenrand mit dem Burschen. Der konnte überhaupt nicht schwimmen!« So so, kurzer Befreiungsgriff, denke ich mir, und ich kann es immer noch kaum fassen. Eben noch sitze ich mit diesem Mann beim Plausch im Park neben dem Bad zusammen. Und dann rettet er mal eben dem 177. Menschen sein Leben, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Ist es für Willi ja auch, es ist sein Beruf. Aber eben ein ganz besonderer.

Laut DLRG sind 2022 in Deutschland mindestens 355 Menschen ertrunken. Im Jahr davor waren es 299 und vor der Pandemie, im Jahr 2019, sogar 417. Nicht ganz die Hälfte der Opfer sind älter als 56 Jahre, aber rund jeder Zehnte ist eben auch jünger als 20 Jahre. Einer davon hätte heute Nachmittag dieser Junge sein können. Man fragt sich, warum das eigentlich immer noch in einem Land passiert, in dem jeder Schwimmunterricht bekommen könnte, wenn er wollte? Wer könnte das besser wissen als Bademeister Willi?

Ein paar Stunden zuvor. Ich treffe den 61-jährigen Willi vor dem Eingang des Cosimawellenbades in Bogenhausen. Das gibt es seit 1980. Seit 1989 ist das erste und einzige Wellenbad Münchens Willis Arbeitsplatz. Er trägt die bekannte Kluft der Bademeister hier, azurblaues T-Shirt, Shorts, Bademeisterschlappen. Willi hat kurz geschorene Haare, wirkt deutlich jünger, das Lebenretten scheint ihn fit gehalten zu haben.

»Ein Ertrinkender hat unglaubliche Kraft«

Willi Will, Bademeister

»Ich wollte eigentlich Zirkusclown werden«, beginnt er seine Geschichte. Ich schaue ihn verdutzt an, aber er meint es ernst. »Mein Vater wollte mich gleich daraufhin enterben, weil er das für brotlose Kunst hielt.« Der kleine Willi war enttäuscht, fügte sich aber. Als der Vater ihm Mitte der 70er-Jahre vorschlägt, Bademeister zu werden, wurden überall Schwimmhallen und Freibäder gebaut: Die Deutschen hatten den Sport für sich entdeckt, um den Speck der Wirtschaftswunderjahre loszuwerden. 1977 beginnt seine Lehrzeit als Bademeister, das Berufsbild war damals noch völlig ungewöhnlich. Seine Klassenkameraden wurden Metzger oder Schreiner. Willi sprang ins kalte Wasser – und das sprichwörtlich.

Bei seiner ersten Wasserrettung war er gerade mal 16 Jahre alt: »Ich war eher zierlich gebaut, trug weiße Hose und weißes Hemd, das war damals unsere Arbeitskleidung. Eine ältere Dame mit einer künstlichen Hüfte zog ihre Bahnen. Das erfuhr ich natürlich erst später. Die wollte sich wohl umdrehen im Wasser, und dann muss die Prothese rausgehüpft sein, und sie geht wild mit den Armen rudernd unter. Ich spring also vorschriftsmäßig rein mit einem sogenannten Paketsprung. Unter uns, das ist ’ne Arschbombe – und was passiert?« Willi lacht dabei, als wäre es nicht todernst. Ja, was passiert? »Mir zieht es unter Wasser das komplette Hemd über den Kopf. Ich sehe nichts mehr, und die Frau klammert sich auch noch an mir fest, wie es Ertrinkende eben machen.« Dass die Geschichte gut ausgegangen ist, sehe ich daran, dass Willi lachend vor mir sitzt. »Ja, ging alles gut, Befreiungsgriff und dann an den Beckenrand. Ich hatte das Glück, dass in meiner ganzen Karriere noch nie jemand so viel Wasser geschluckt beziehungsweise eingeatmet hat, dass er ertrunken wäre. Aber eines sage ich dir: Danach bin ich nie wieder so ins Wasser gesprungen, sondern immer mit einem Hechtsprung.«

Alles im Blick: Willi muss in seinem Beruf stets wachsam sein
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Franziska van Almsick mit Schwimmflügeln in der Hand

In der kommenden Stunde erfahre ich, dass es viele Techniken für Bademeister gibt, um mit lebensbedrohlichen Situationen professionell umzugehen. Die Befreiungsgriffe sind eine der wichtigsten, da Ertrinkende immer versuchen, sich am Körper des Rettenden festzuhalten. Von vorne, hinten, oben. Sechs Stück gibt es. »Ein Ertrinkender hat unglaubliche Kraft. Diese Griffe musst du beherrschen«, weiß Willi aus Erfahrung. Und warum dürfe man nicht mit einem Hechtsprung ins Wasser? »Das gehört eher zu den klassischen Baderegeln. Mit dem Kopf voran zu springen erhöht einfach das Verletzungsrisiko.«

Diese Regeln kennt der Willi natürlich aus dem Effeff, jahrelang hat er Schwimmkurse gegeben und nimmt auch heute noch Übungsschwimmen für Feuerwehr und Polizei ab. »Das sind gar nicht so viele, knapp 30, aber die wichtigsten sollte jeder kennen.« Regel Nummer eins lautet: sich vor dem Schwimmen immer ein bisschen abkühlen. »Herzstillstand wegen Überhitzung gibt es nach wie vor. Für mich sind das die gefährlichsten Fälle, denn diese Personen schreien nicht, sondern gehen leise unter.« Sechs, sieben Minuten bleiben in so einem Fall, bis dem Untergehenden Gehirnzellen absterben, dann kommt jede Rettung zu spät. Willi rekapituliert: »Ich hatte viele mit Herz-Kreislauf-Versagen, dem sogenannten Sekundentod.« Für den Untergehenden mag das noch am Angenehmsten sein, so abzutreten, für Willi ist es der größte Albtraum. »Der Älteste, den ich gerettet habe, war 87 Jahre alt. Abgestoßen vom Beckenrand und mausetot.« Er zieht den Mann vorschriftsmäßig raus, beatmet ihn Mund zu Mund wieder und versucht es mit Herzmassage, bis der Krankenwagen kommt. Willi erinnert sich: »Nach zehn Tagen bekomme ich einen Anruf! Es stellte sich heraus, dass es der Vater von Schlagersänger Teddy Parker war. Zum Dank für sein neues Leben schenkte er meiner Tochter ein Fahrrad. Das fand ich sehr großzügig.«

»Jeder sollte schwimmen können.«

Selbst seine Ehefrau rettete Willi zunächst aus einer brenzligen Situation. »Ich lernte sie nach der Wende 1992 kennen. Sie kam aus Osteuropa. Ich hatte gerade den Wellengang eingeschaltet, da hängt eine junge Frau an einem der Startblöcke, als sich das Wasser absenkt.« Willi hilft ihr galant aus dem Becken. »Sie hat sich entschuldigt, die kannte ja gar keine Wellenbäder. Ich habe mich dann als Stadtführer angeboten. Als großer 1860-München-Fan habe ich ihr am nächsten Tag natürlich das Stadion gezeigt, und dann sind wir ins Hofbräuhaus. Da war die Stadtführung dann zu Ende.« Sagt er und lacht. Und kommt noch mal zurück zu den Baderegeln. Alkohol im Wasser sei natürlich tabu, das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Obwohl er auch schon mal jemanden mit einer Maß Bier intus gerettet hat, abseits des Jobs natürlich: »Das war am Feringasee, als ich mit Freunden im Biergarten saß und beobachtete, wie ein Kind samt seiner Luftmatratze absoff.« Die Mutter, die nicht aufgepasst hatte, hat es ihm nicht gedankt, aber »im Biergarten hat es Applaus gegeben«, erinnert sich Willi, dem es nichts auszumachen scheint, wenn Gerettete oder Angehörige undankbar sind. »Es muss schon viel passieren, bis ich richtig sauer werde.« Das passiert, wenn er sieht, dass Eltern nicht auf ihre Kleinkinder aufpassen.((etwas widersprüchlich; oben geht es ja um eine Mutter, die nicht aufgepasst hat)) »Wenn ein Opa von seiner ertrinkenden Enkelin unter Wasser gezogen wird, können da beide ja nichts dafür.« Aber heute seien die Eltern eben extrem häufig abgelenkt. »Die schauen auf ihr Handy, während im Wasser nur noch die Schwimmflügelchen treiben, aber nicht mehr das passende Kind dazu.«

»Eltern können schon früh anfangen, Kindern die Angst vor dem Wasser zu nehmen.«

Wann, rät er, mit dem Schwimmenlernen anzufangen? »Die beste Zeit ist so ab viereinhalb Jahren, denn wenn die Kinder in die Schule gehen, sollten sie bereits schwimmen können.« Und ergänzt: »In der Lebensphase sind Kinder auch sehr aufnahmefähig.« Und er wundert sich gleichzeitig, wie viele Kinder es heute nicht können. »Jeder sollte schwimmen können.« Das rät Willi allen Eltern und ergänzt: »Eltern können schon sehr früh anfangen, Kindern die Angst vor dem Wasser zu nehmen und sie mit einfachen Übungen daran gewöhnen – lange vor dem Schwimmunterricht.« In der Badewanne könne man das Luftanhalten üben, das Ausatmen unter Wasser oder das Öffnen der Augen. »Kleine Übungen, die helfen, Ängste abzubauen«, weiß Willi aus Erfahrung. Am meisten helfe es natürlich, wenn die Eltern auch gerne ins Wasser gehen. »Wenn Papa ›toter Mann‹ spielt durch Luftanhalten, lernen Kinder früh, dass man so einfach nicht untergehen kann im Wasser.«

Kann Bademeister Willi in seiner Freizeit eigentlich noch abschalten? Das, so Willi, sei neben den Wochenendschichten, die ihn von den Spielen seines geliebten Fußballvereins abhielten, vielleicht der größte Nachteil seines Berufs. »Wenn ich im Sommer in Spanien am Mittelmeer stehe und aufs Wasser schaue, ruft meine Frau immer hinter mir: ›Willi, wir sind im Urlaub.‹« Willi überhört das dann. »Egal ob am Hotelpool oder am Badesee. Ich mache halt Aufsicht. Das kriegst du nach 45 Jahren einfach nicht mehr raus.« Zum Abschied wünsche ich ihm viel Erfolg bei der nächsten Rettung. Da ahne ich noch nicht, dass der verhinderte Zirkusclown, der Münchens erfahrenster Bademeister wurde, an diesem Tag zwei Eltern und einen kleinen Jungen noch sehr, sehr glücklich machen wird.

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Text    Jörn Kengelbach
Fotos  iStock/ewg3D, Jörn Kengelbach (3)

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