28.04.2022

Fort Knöxle: Der sicherste Tresor Deutschlands

Riesige Vermögen auf Papier liegen sorgsam behütet in einem begehbaren Tresor im Stuttgarter Westen. Hans König und Karlheinz Poll wachen als Treuhänder über einen milliardenschweren Schatz aus Aktenmappen. Worauf es bei dieser Aufgabe ankommt und wieso ein guter Rotwein dabei nahezu überlebenswichtig ist

In den Untergrund gingen sie erst, als sie schon im Rentenalter waren. Hans König, 65, und Karlheinz Poll, 63, arbeiten vornehmlich im Keller. Ihre wichtigsten Werkzeuge sind dabei absolute Gründlichkeit und ein wachsames Auge. Die beiden sind als unabhängige Treuhänder für die Allianz tätig. Poll für die Kranken- und Sachversicherung, König im Auftrag der Lebensversicherung. Wer die beiden an ihrem Arbeitsplatz antreffen möchte, muss zum Stuttgarter Stammhaus der Allianz Lebensversicherungs-AG im Westen der Stadt. Unterirdisch sind mehrere Türen zu passieren, ehe sich ein fensterloser Raum mit Neonlicht öffnet. Den fehlenden Blick nach draußen ersetzen farbenfrohe Landschaftsfotografien an den Wänden, doch abgesehen von einem Mangel an Tageslicht fehlt es nicht an guter Atmosphäre.

»Wir sind die Herrscher der Innereien«, scherzt Karlheinz Poll, hohe Statur, dichtes Haar, groß kariertes Sakko, und stellt das schwäbische Fort Knox vor: Eine vier Tonnen schwere und 40 Zentimeter dicke Eisentür verschließt den Eingang zu einem großen, begehbaren Tresorraum. Zusätzlich sichert eine Gittertür die rund 110.000 Akten mit Milliardenwert, die in grünen, rollbaren Stahlschränken lagern. Auch Überwachungskameras sind installiert. »Als das hier im Jahr 1973 gebaut wurde, hatte die Allianz den sichersten Tresor in ganz Deutschland«, sagt Hans König, schmal, graues Haar, der etwas stillere der beiden Männer.

Was immer an Wertpapieren diese Schränke verlässt oder neu hinzukommt, geht über den Schreibtisch der beiden Männer. Sie zeichnen jedes Dokument handschriftlich ab, und die Devise, die dahintersteht, lautet: Das Vermögen, das aus den Beiträgen der Allianz Kunden gebildet wird, muss sicher sein. Das hat in Deutschland Geschichte: »Seit 1908 gibt es bei uns das Versicherungsaufsichtsgesetz, das dafür sorgt, dass Versicherungen nicht in die Insolvenz rutschen können«, erklärt Karlheinz Poll. Nichts sei schließlich schlimmer als der Fall, dass ein Kunde seine Lebensversicherung oder Altersvorsorge ausbezahlt bekommen wolle und der Versicherer dies dann nicht leisten könne.

 

»Unsere Aufgabe ist es, das Sicherungsvermögen zu schützen«

Hans König

Bei einer solchen Pleite, so Poll, sei das Versicherungsvermögen von Millionen Menschen gefährdet. Daher stellt das Gesetz Grundsätze auf, wie Versicherungen das Kapital ihrer Kunden anlegen dürfen, und dass sie es nicht veruntreuen können. Hans König ergänzt: »Das ist dem Gesetzgeber aber nicht genug. Die Versicherungsaufsichtsbehörde ist zu weit weg, um jedes Unternehmen laufend überwachen zu können, daher gibt es uns Treuhänder. Unsere Hauptaufgabe ist es, das Sicherungsvermögen zu schützen.« Dieses Vermögen muss mindestens so hoch sein, dass alle Ansprüche der Kunden zu jedem Zeitpunkt erfüllt werden können. Für die Allianz, ob Lebensversicherung, Kranken- oder Sachversicherung, heißt das: Das Geld der Kunden ist so angelegt, dass alle Garantien über Jahrzehnte hinweg gewährleistet werden können.

Möglich machen das mehr als 500 Investment-Profis weltweit, die das Geld, das die Versicherten einzahlen, in Staats- und Unternehmensanleihen, Immobilien, Aktien oder Infrastrukturprojekte investieren. Gerade im Bereich Alternative Investments gibt es Investitionen, die aufgrund der schweren Verfügbarkeit und Komplexität attraktive Renditen bieten. Ein einzelner Privatanleger könnte nie in einen Windpark investieren. Solche Investitionen sind dank des Sicherungsvermögens und dank der Expertise der Allianz Kapitalanlage-Experten für alle Versicherten möglich.

Im Tresor finden sich Raritäten. So liegen dort Aktien aus dem Jahr 1922, dem Gründungsjahr von Allianz Leben. Die meisten Unterlagen beziehen sich allerdings auf die Sicherheiten für Baudarlehen. Das Sicherungsvermögen der Allianz Gesellschaften in Deutschland ist jedoch deutlich umfangreicher – nicht alle Dokumente werden im Tresor gelagert. Doch auch bei den Investitionen, die digital verbrieft sind, gibt es einen Treuhänder-Sperrvermerk.

»Ein Teil der Beitragseinnahmen wird auch zur Investition in indische Mautstraßen oder Studentenwohnheime in Australien genutzt«

Karlheinz Poll

Und da sind dann auch schon mal ungewöhnliche Anlagen dabei: »Ein Teil der Beitragseinnahmen wird auch zur Investition in indische Mautstraßen oder Studentenwohnheime in Australien genutzt, oder man beteiligt sich an Windparks in der Nordsee oder Solarparks in Südamerika«, sagt Karlheinz Poll. Er und sein Kollege König haben keinen Einfluss auf die Art der Kapitalanlage. Sie überprüfen, ob die Allianz bei jeder einzelnen Anlage die gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Vorschriften berücksichtigt und sich an die Standards hält, die sie sich selbst auferlegt hat. »Fällt uns etwas auf, fragen wir beim Kapitalanleger nach«, sagt Poll. Ist alles in Ordnung, kommt ein Haken dran und die Wertanlage wird entweder digital abgelegt oder verschwindet, versehen mit einer sechsstelligen Nummer, in einer schlichten braunen Aktenmappe im Tresor. 

So simpel der Ablauf klingt, so schwer wiegt die Verantwortung der beiden Treuhänder. An normalen Tagen zeichnen sie etwa 100 Papiere ab, in Spitzenzeiten sind es bis zu 200 Dokumente. Alle Aktien, die im Stuttgarter Untergrund lagern, können nur von ihren Eigentümern zu Geld gemacht werden. Diebe können sich den Weg somit sparen. Wovor man die Papiere allerdings schützen muss, ist beispielsweise Feuer. Auch diese Gefahr hat die Allianz bereits bei der Planung 1973 bedacht und den Tresor entsprechend gebaut.


Zu treuen Händen: Karlheinz Poll (li.) und Hans König hüten einen Schatz
Klicken Sie durch die Bildergalerie: Ein Blick in die Schatzkammer

Das Wissen für ihre jetzige Tätigkeit haben sowohl Poll als auch König in ihren langjährigen Allianz Karrieren gesammelt. Beide Treuhänder sind Juristen, im Konzern machten sie in verschiedenen Bereichen Karriere: Hans König war Leiter der Rechtsabteilung bei der Allianz Lebensversicherung, Karlheinz Poll langjähriger Chef der Firmenkunden-Abteilung bei der Sachversicherung. »Seit 2019 sind wir beide jeweils 140 bis 150 Teilzeit-Tage im Keller tätig«, sagt Hans König.

»In nunmehr fast 50 Jahren ist hier aber noch nie jemand eingeschlossen worden«

Hans König

Um die Mittagszeit ist Feierabend im Tresor. Punkt 12 Uhr schließen die Männer die schwere Eisentür. Zuvor knipst einer das Licht aus. »Wenn dann keiner schreit, ist es schon mal gut«, sagt Poll, trotzdem folgt der obligatorische Ruf: »Ist noch jemand drinnen?« Denn der Schließmechanismus ist an eine mechanische Zeitschaltuhr geknüpft, die durch keine Tricks zu überlisten ist. Das heißt auch: Ist die Tür einmal zu, lässt sie sich erst wieder am nächsten Morgen um 8.30 Uhr oder im ungünstigsten Fall sogar erst am darauffolgenden Montag öffnen. Handyempfang gibt es hier unten ebenso wenig wie Tageslicht. »In nunmehr fast 50 Jahren ist hier aber noch nie jemand eingeschlossen worden«, beruhigt Hans König und lacht.

Gleichwohl kalkuliert man bei einer Versicherung immer den Fall der Fälle. Ganz hinten links, im unteren Fach des Stahlschranks, lagert ein Notvorrat. Wobei »Not« hier großzügig ausgelegt wird: Fürs pure Überleben gibt es Zwieback und stilles Mineralwasser, aber fürs genussvolle Durchhalten liegt eine Flasche Château la Commanderie bereit. Sogar an einen Korkenzieher für den guten französischen Rotwein haben die Herren gedacht. Es soll doch niemand behaupten, dass der Untergrund kein Niveau habe.

Unser Tipp

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Text Katja Fastrich
Bilder Emanuel Herm

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