Pilz-Sammler Helmut Grünert und Jägerin Alena Steinbach stehen im Wald.Pilz-Sammler Helmut Grünert und Jägerin Alena Steinbach stehen im Wald.

14.12.2021

Ertragreiche Streifzüge: Jägerin versus Sammler

Sie investieren Zeit und gehen das Risiko ein, dass sie erfolglos bleiben. Und doch erzielen sie wertvolle Erträge: Jäger und Sammler sind die Vorfahren moderner Anleger. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen

Pilzsammler mit Leidenschaft: Für ihr Hobby reist das Ehepaar Grünert durch ganz Europa

Helmut Grünert fährt über die Lamellen eines weichen, braunen Risspilzes und reibt die Finger unter der Nase gegeneinander. »Kennen Sie den Geruch?«, fragt er und grinst: »Sperma. Nasser Putzlappen.« Grünertwar Technischer Leiter einer Klinik, kennt sich mit Pilzen aber so gut aus wie ein Wissenschaftler, reiste in den vergangenen 40 Jahren schon durch ganz Europa zu Vorträgen und Tagungen. Heute ist er mehr als 20 Kilometer von Vilgertshofen ans Westufer des Ammersees in Oberbayern gefahren, im Gepäck einen Weidenkorb, Taschenmesser, Fotoausrüstung und ein paar Handbücher, einige davon haben er mit seiner Frau selbst geschrieben: Renate Grünert, 72 Jahre. »Wir suchen ständig neue Plätze auf, das ist interessanter, als immer dieselben Orte besuchen«, sagt Helmut Grünert. Und: »Speisepilze interessieren uns nur nebenbei.« Was der Pilzexperte sammelt, sind Raritäten, die er bisher nur aus Büchern kennt. Die seltenen Exemplare wickelt er in Alufolie, damit sie nicht austrocknen oder zerdrückt werden. Zu Hause legt er den Pilz unters Mikroskop, fertigt eine Mikrozeichnung an und nimmt die Sporengröße auf. 

Was die Pilzkunde für den 75-Jährigen so interessant macht, ist die Welt der Gerüche: Allein in Deutschland gibt es Tausende verschiedener Arten. Jede duftet anders. Der Anisklumpfuß etwa hat ein so starkes Aroma, dass er ein ganzes Gericht nach Hustenbonbon schmecken lässt. Andere Pilze riechen nach Fenchel, Rettich, Ziegenbock, Pferdeurin oder Honig, manche sogar nach Leuchtgas. »Um ein so umfangreiches Wissen anzureichern, wie es meiner Frau und mir gelungen ist, muss man zunächst viel investieren: vor allem Zeit«, erzählt Grünert, während er sich bückt und einen Löwengelben Rauhkopf vorsichtig aus dem Boden hebt. Er nimmt den Pilz in die Hand und deckt die Schnittstelle am Waldboden mit etwas Erde ab. »Damit das Myzel nicht austrocknet«, erklärt Grünert. Was er in der Hand hält, ist der Fruchtkörper, der Rest des Pilzes befindet sich im Boden und kann weiterwachsen. 

Der nachhaltige Umgang mit der Natur steht für Helmut Grünert im Vordergrund. Die Pilzberatungsstelle in München, erzählt er, gibt es seit mehr als 100 Jahren. »Damals haben die Menschen gehungert. Die Berater mussten die Exemplare aussortieren, die die Sammler umgebracht hätten«, sagt Grünert. In solch einer Notlage befinde sich heute niemand mehr. Deshalb müssen Bescheidenheit und Respekt für die Natur an erster Stelle stehen. »Man sollte ohne Hast und mit Verstand suchen«, sagt der Experte. »Und vor allem ohne Gier.« 

Inmitten der Natur: Bereits seit mehr als 40 Jahren geht Helmut Grünert seiner Passion nach

Der richtige Handgriff: Er weiß, worauf es bei der Pilzernte ankommt
Zwischen Maronen und Trompetenpfifferlingen: Die Ausbeute von Ehepaar Grünert heute

Fokussiert und konsequent: Alena Steinbach isst nur selbst geschossenes Fleisch

Die Pilzkunde hat sich für das Ehepaar Grünert als sehr ertragreiches Hobby erwiesen. Ihre Leidenschaft verbindet: Deswegen, da sind sich beide Partner einig, sind sei eines der wenigen Paare, deren Ehe noch funktioniert. Und als den Grünerts vergangenes Jahr nach 49 Jahren die Mietwohnung gekündigt wurde, zogen sie viel Kraft aus der Natur. Es war eine schlimme Zeit, aber sie suchten nach einer Lösung – und fanden eine. Inzwischen wohnen sie in einem neuen Zuhause. Der Wissensvorrat, den die beiden angelegt haben, hat sie widerstandsfähig gemacht. Resilient. Man könnte sagen: Das Investment hat sich ausgezahlt.

»Es ist immer gut, wenn man vorsorgt und sich auskennt«, sagt Helmut Grünert. »Deshalb freut es mich, dass sich viele junge Menschen für Pilze und die Natur interessieren. Dadurch haben sie ganz andere Mitsprachemöglichkeiten.« Wer sich auskennt, den kann man nicht so leicht manipulieren.

Auch Alena Steinbach verfolgt eine lukrative Anlagestrategie. Die 31-Jährige mit den blonden, langen Haaren ist Jägerin mit eigenem Revier. Aufgewachsen in der Lüneburger Heide, begleitete sie ihren Großvater und Vater schon als kleines Mädchen zum Jagen. Mit 13 wurde sie zwar vorübergehend Vegetarierin, weil sie die Massentierhaltung nicht länger unterstützen wollte. Sie merkte aber, dass ihr etwas fehlte und fing bald an, heimlich Fleisch zu essen. »Dabei fühlte ich mich nicht wohl«, sagt sie heute. Irgendwann kam sie zu dem Schluss, dass die Jagd für sie der beste Weg ist, Fleisch zu essen und gleichzeitig auf das Tierwohl und die Umwelt zu achten. Seit Alena Steinbach mit 18 ihren Jagdschein ablegte, isst sie nur noch das Fleisch von Tieren, die sie selbst geschossen hat oder jemand aus ihrer Familie – in ihrem Revier im Pfälzer Wald. 

»Jagen ist mein Beitrag zum Klimaschutz«, sagt sie. In der Massentierhaltung, legt die Jägerin überzeugend dar, werde unheimlich viel Futter produziert und verbraucht, dabei giftige Dünger eingesetzt und Antibiotika bei der Aufzucht verwendet. »Es ist ja zum Beispiel so, dass deutsche Schweine nach Rumänien verkauft werden, weil es dort billiger ist, sie zu schlachten, um dann danach wieder nach Deutschland transportiert und hier verkauft zu werden. Dabei entsteht ein riesiger ökologischer Fußabdruck.«

Wie der Pilzesammler Helmut Grünert steckt Alena Steinbach viel Zeit in ihr Hobby. Etwa zwei Tage pro Woche verbringt sie im Wald, gibt ihr eigenes Online-Magazin heraus (»Wir jagen«) und hat ein Kochbuch geschrieben. Sie führt vier Jagdhunde, einen Labrador, zwei Dackel und eine Westfälische Dachsbracke. Weil sie auf der Pirsch nie weiß, was passieren wird, geht sie dabei stets das Risiko ein, dass gar kein Tier auftaucht: »Wenn ich zehnmal rausgehe, schieße ich vielleicht einmal etwas«, sagt Steinbach. Wenn das Tier in letzter Sekunde davonspringt, ärgert sie sich nicht: »Manchmal freue ich mich sogar darüber, dass man als Mensch belehrt wird, dass wir eben nicht alles unter Kontrolle haben. Dass es Dinge gibt, die wir nicht beeinflussen können.« Eine Lektion, die jeder Börsenspekulant irgendwann lernt.

Umgeben von Tieren: Alenas Jagdhunde sind immer an ihrer Seite
Herausgeberin mit Beutetrieb: Seit über 14 Jahren ist Alena Steinbach Hobby-Jägerin
Auf der Pirsch: Alena Steinbach verbringt bei ihrem Hobby viel Zeit an der freien Luft

Jagen ist für Alena Steinbach etwas Ursprüngliches und Natürliches, das macht für sie den Reiz aus. »Ich pflege einen Lebensstil, den es seit Jahrhunderten nicht mehr gibt«, sagt sie. Das tut heute kaum ein Mensch mehr, draußen sitzen und warten, frieren, auch mal nass werden und körperliche Erschöpfung in Kauf nehmen. Sich auf einen Platz setzen, die Umwelt auf sich wirken zu lassen – ohne zu wissen, ob ein Ergebnis dabei herauskommt.

Wie für Helmut Grünert steht auch für Alena Steinbach Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. »Jagd ist etwas sehr Langlebiges. Wir Menschen jagen, seit es uns gibt.« Ein Revier, erzählt sie, pachte man für zwölf Jahre: »Wenn wir da nicht langfristig denken würden, gäbe es bald kein Wild mehr.« Wer also glaubt, eine Jägerin sei impulsiv und lebe nur im Hier und Jetzt, irrt. Wie ein Pilzesammler geht sie mit Bedacht vor und hält sich bei ihrer Anlagestrategie an die Empfehlung, Investments auf verschiedene Märkte und Währungen zu verteilen, weil dann bei gleichem Risiko die Ertragschancen steigen: »Ich glaube, dass jeder Jäger auch Sammler ist. Ich mag jedenfalls Pilze total gern.« 

Text    Sandra Michel
Fotos  Anne-Sophie Stolz, Daniel Delang

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