Die Zukunft ist geprägt von medizinischer Forschung, ökonomischen Fragen und Umweltschutz.Die Zukunft ist geprägt von medizinischer Forschung, ökonomischen Fragen und Umweltschutz.

13.01.2022

Leben geht weiter: Ein Blick ins Jahr 2122

Die Allianz Lebensversicherung feiert 100. Geburtstag. Wir blicken aber nicht zurück, sondern nach vorn: Wie sieht sie aus, die Zukunft des Geldes, die Zukunft des Menschen und die Zukunft des Planeten? Drei Fachleute loten sie für uns aus

Zur PersonAxel Paul lehrt Soziologie an der Universität Basel und forscht unter anderem über die Theorie des Geldes.

Axel Paul über die Zukunft des Geldes

Wie sieht die Zukunft des Geldes aus? Wir sind Zeugen einer weitreichenden Veränderung unseres Finanz- und Geldsystems. Sehr wahrscheinlich wird das Bargeld in Form von Münzen und Scheinen verschwinden. Wir werden in Zukunft nur mit unseren Karten und vor allem mit unseren Smartphones bezahlen. Die Form, in der Geld daherkommt, hat sich im Lauf der Geschichte ja immer wieder geändert und wird sich weiter ändern. Es gab ja auch nicht schon immer Geldscheine. Dass bunt bedruckte Papiere große Werte verkörpern – dazu war vor einigen hundert Jahren schon einmal eine Bargeld-Revolution nötig.

Wie gestaltet sich die heutige Revolution? Das Geld ist unsterblich, die Währungen sind es nicht. Darin steckt, dass wir Geld nicht mit seiner konkreten Gestalt verwechseln dürfen. Geld wird nicht verschwinden, solange wir in komplexen Gesellschaften leben. Münzen und Scheine schon.

Welche Folgen wird das Verschwinden des Bargeldes haben? Von Dostojewski stammt der Satz: Geld ist geprägte Freiheit. Bargeld hat den enormen Vorteil, dass wir anonym darüber verfügen können. Ich bin jedoch skeptisch, ob es ein digitales Gegenstück zum anonymen und die Privatheit schützenden Medium Bargeld geben wird, weil alle virtuellen Lösungen voraussetzen, dass unsere Transaktionen dokumentiert, mitgelesen und zurückverfolgt werden können.

Sind Bitcoins in dieser Hinsicht keine Alternative? Die große Attraktivität von Kryptowährungen wie Bitcoin ist tatsächlich, ich will nicht sagen, die vollkommene, aber weitgehende Anonymität. Ein Problem dieser Währung ist, dass sie strukturell deflationär ist. Sie wird immer wertvoller, weil die Gesamtmenge der emittierten Bitcoins begrenzt ist. Es gibt auch keine Möglichkeit, durch staatliche Transaktionen Einfluss auf den Kurs zu nehmen, der innerhalb weniger Wochen um viele tausend Dollar rauf- und runtergeht.

Verlieren die Staaten in Zukunft ihr Geldmonopol? Private digitale Währungen werden in massive Konkurrenz zu staatlichen treten. Die großen Digitalkonzerne haben schon jetzt einen privilegierten Zugang zu den Kunden, und ihre Zahlungsmittel werden es Dollar und Euro nicht leicht machen. Werden Währungen künftig in privater Hand liegen oder in staatlicher Hand? Das scheint mir doch eine ganz wesentliche Frage zu sein.

Während Digitalkonzerne und Zentralbanken um die Vorherrschaft kämpfen, blühen sogenannte Komplementärwährungen. Haben die eine Zukunft? Komplementärwährungen sind nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu den staatlichen Währungen vorgesehen. Sie sind der Versuch, kleinere, regionale Wirtschaftskreisläufe zu etablieren, zwischen Konsumenten und Produzenten gleicher Gesinnung. Es hat in den vergangenen Jahren einen enormen Run auf diese komplementären Währungen gegeben, und die werden auch nicht ohne Weiteres verschwinden.

Gibt es erwähnenswerte Utopien für die nächsten 100 Jahre? Ein zinsloses Geld zu erzeugen, ist sicherlich eine gelebte Utopie. Sehr viele der erwähnten Tauschringe operieren ohne Zins. Eine sehr alte Utopie ist die der Abschaffung des Geldes. Ein Zusammenleben mit anderen Leuten, jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen. Aber die Experimente dazu sind samt und sonders gescheitert.

Zur PersonAntje Boetius ist Biologin und leitet das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.

Antje Boetius über die Zukunft des Klimas

Wie weit kann die Klimaforschung in die Zukunft blicken? Je nach Fragestellung über Hunderte von Jahren. Im Fokus steht aber derzeit die Rolle des Menschen für die Zukunft, und da geht es eher um Dekaden, auch wegen der Dringlichkeit, bis 2050 klimaneutral zu sein.

Seit wann warnt die Wissenschaft vor der Erderwärmung? Der Treibhauseffekt von Gasmolekülen ist seit 1899 bekannt. Schon 1965 verfassten Wissenschaftler eine Warnung vor der Erwärmung der Atmosphäre angesichts der stetig ansteigenden Konzentrationen von Klimagasen durch die Nutzung fossiler Brennstoffe.

Wo werden wir in 100 Jahren stehen, wenn wir so weitermachen wie bisher? Extremwetterlagen, wie wir sie noch gar nicht kennen, würden zunehmen. Bei Ernährung und Verfügbarkeit von Wasser gäbe es erhebliche Ausfälle. Wir müssten ab 2030 mit eisfreien Sommern in der Arktis rechnen und hätten bis 2050 den größten Teil der Korallenriffe verloren. Bis 2100 würde der Meeresspiegel um einen Meter ansteigen – und danach schnell immer mehr. Zehn Prozent aller Menschen leben direkt an der Küste. Das bedeutet, dass unfassbar viele ihre Heimat verlieren.

Auch wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen – welche Folgen wird diese dauerhafte Erwärmung für die Meere haben? Der Ozean nimmt schon jetzt 93 Prozent der Erwärmung auf und wird dadurch selbst wärmer, saurer und sauerstoffärmer. Das bewirkt eine starke Veränderung der Artenvielfalt, der Nahrungsnetze und der Produktivität der Meere. Leider lassen sich einige dieser Konsequenzen dann auch wieder für Jahrhunderte nicht rückgängig machen.

Wie lange wird es dauern, bis sich der Klimawandel in der Tiefsee bemerkbar macht? Er ist schon da. Wir haben Bojen mit Thermometern, die zeigen, dass wir bis in 2,5 Kilometer Wassertiefe die Meere schon messbar erwärmt haben. Die Erwärmung der Meeresoberflächen führt dazu, dass sich die Verteilung der Algen, Krebse und Fische verändert und damit auch die Nahrung für die Tiefsee. Wir können selbst in über vier Kilometer Wassertiefe dadurch Effekte erkennen.

Wenn Sie sich eine globale Maßnahme gegen die Erderwärmung wünschen dürften – welche wäre es? Am effektivsten wäre der sofortige Ausstieg aus der Nutzung von Kohle weltweit. Der ist unumgänglich, aber nicht einfach. Wir brauchen dazu einen politischen und ökonomischen Rahmen, der klimaneutrales Verhalten einfacher macht und belohnt. Das ist der entscheidende Schritt, der fehlt.

Bestehen Chancen, dass sich der Klimawandel technisch, also ohne Verzicht, bremsen lässt? Der Klimawandel selbst beruht ja auf Nutzung von bestimmten Techniken mit zerstörerischen Konsequenzen. Er führt zu einem fundamentalen Verzicht auf Gesundheit, Artenvielfalt, Chancengleichheit und Freiheit künftiger Generationen. Es ist falsch, Klimaschutz mit Verzicht gleichzusetzen.

Wer ist stärker: der Mensch oder die Natur? Wir leben im Anthropozän, dem Erdzeitalter, in dem der Mensch die stärkste geologische Kraft geworden ist. Wir verändern die Erde, die Böden, das Wasser und die Atmosphäre – viel stärker als alle Vulkane zusammen. Aber ein kleines Virus kann uns ziemlich lahmlegen. Die Natur ist ein Netzwerk des Lebens, und wir sind Teil davon. Wir müssen wieder ein Gleichgewicht finden, um wirklich stark zu sein.

Welche Erkenntnis haben Sie aus der Tiefsee mitgebracht? Für mich ist tröstlich, mit wie wenig Energie diese Welt voller unbekannter Lebensformen klarkommt, wie sehr sie in effizienten Kreisläufen lebt.

Zur PersonIgor Splawski ist Humangenetiker und Chief Scientific Officer des Biopharmaunternehmens CureVac in Tübingen.

Igor Splawski über die Zukunft der Gesundheit

Wann kam die Idee auf, mRNA, also genetische Botenmoleküle, als Impfstoff zu verwenden? In den 1990er-Jahren. CureVac war vor 21 Jahren die erste Firma, die aufgrund dieser Idee gegründet wurde.

Aber erst COVID-19 rückte die Technologie ins Rampenlicht der Welt? Absolut. Die Impfstoffe gegen COVID-19 sind die ersten zugelassenen mRNA-Medikamente überhaupt.

Welche anderen Krankheiten werden sich künftig mit dieser Technik behandeln lassen? Es wird Krebsimpfstoffe geben, die in Kombination mit anderen Krebsmedikamenten eingesetzt werden können. In Zukunft könnten solche Impfstoffe auch vorsorglich eingesetzt werden, um vor Krankheiten zu schützen, die zu Krebs führen. Als Humangenetiker glaube ich, dass auch viele seltene Krankheiten in den nächsten 5 bis 15 Jahren behandelt werden können. In wenigen Jahrzehnten könnte die Medizin Entwicklungsstörungen im Mutterleib mit neuen fortschrittlichen Ansätzen therapieren. Das ist aber ein extremes Beispiel.

Wird die Gesellschaft all die Fortschritte der Medizin akzeptieren? Es ist wichtig, auch andere wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Experten in künftige Entwicklungen in der Medizin einzubeziehen. Besonders bei Therapien, die die Keimbahn, also Embryos, betreffen.

Wie hat die Wissenschaft die Gesellschaft verändert? Vor 100 Jahren erwartete die Gesellschaft, dass die Technik alles schneller machen würde. Heute haben Wissenschaft und technischer Fortschritt die körperliche Arbeit so weit reduziert, dass viele auf Laufbändern laufen müssen, um den Mangel an körperlicher Betätigung auszugleichen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten das einem Menschen von vor 100 Jahren erklären.

Jedes dritte Mädchen, das heute in Deutschland geboren wird, soll 100 Jahre alt werden. Wollen die Menschen so alt werden? Das müssten Sie die fragen, die so alt geworden sind. Zwischen 1980 und 2010 hat sich die Lebensspanne im Schnitt um acht Jahre verlängert – aber nur zwei Jahre davon mit positivem Effekt auf die Gesundheit. Und nicht vergessen: Den größten Beitrag zu einem längeren Leben haben Impfstoffe geleistet, die Kindersterblichkeit verringert haben.

   
Interviews
       Christian Gottwalt
Illustrationen  Jan Steins
Fotos                  Universität Basel, Alfred-Wegener-Institut/Esther Horvath, CureVac

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