Zwei Stockwerke unter der Erde, umgeben von meterdicken Betonwänden und gesichert mit einer tonnenschweren Tresortür liegt die Schatzkammer von Daniel Twardowski. Wobei das Wort »Kammer« untertrieben ist. Auf 120 Quadratmetern erstreckt sich über zwei Ebenen ein Hochsicherheitsbunker, einst gebaut, um Erdbeben und Atomkriegen standzuhalten. Jahrzehntelang lagerten hier die Gold- und Bargeldreserven der Landeszentralbank von Rheinland-Pfalz. Heute ruhen in den grauen Metallregalen Kostbarkeiten, die Namen tragen wie: Ornellaia, Dom Pérignon oder Romanée-Conti. Behutsam zieht Daniel Twardowski aus einem der Regalböden eine Weinflasche hervor. Domaine de la Romanée-Conti, La Tâche Grand Cru steht auf dem Etikett. Jahrgang 1947. »So ein Wein kostet etwa 4000 bis 5000 Euro pro Flasche. Das sind echte Goldschätze«, sagt Twardowski.
Sehen Sie im Video: Im Tresor eines Weinhändlers
Twardowski, geboren 1979, ist Weinhändler. Er kauft und verkauft Raritäten. Wie viele Flaschen genau in seinem Tresorkeller lagern, will er nicht verraten. Hölzerne Weinkisten von Château Pétrus, einem Spitzenweingut aus dem Bordeaux, stapeln sich in einer Ecke, auf Kartons steht Sassicaia oder Masseto (beides Spitzenrotweine aus der Toskana). Eine Auslese der besten Weine der Welt. Wo welcher Wein genau zu finden ist in diesem Lager aus Kisten und Regalen, weiß nur Daniel Twardowski genau: »Das ist wie mit den Geburtstagen meiner drei Kinder. Die vergesse ich ja auch nicht«, sagt er und lacht. Seine Liebe zum Wein entdeckte Twardowski bereits zu Schulzeiten, als er mit seiner Familie aus Norddeutschland in den ältesten Weinort Deutschlands an die Mosel zog: Neumagen-Dhron. Er begann, sich für Riesling zu interessieren, der dort in den Steillagen wächst, las alles über Bordeaux und Burgunder, studierte Wein-Atlanten und tauchte immer tiefer ein in die Faszination Wein. »Das ein oder andere Glas habe ich natürlich auch getrunken.« An sein erstes Weininvest erinnert er sich noch ganz genau. In einem Kaufhaus im nahe gelegenen Trier stieß er auf ein Angebot: elf Flaschen Lafite Rothschild, Jahrgang 1994. Die zwölfte Flasche gab es gratis. Twardowski schlug zu. Verkaufte elf Flaschen und behielt eine für sich. Der Beginn einer heute wunderbaren Sammlung.
Auch während seines Studiums handelte er mit Weinen. Er fuhr zu Kellerauflösungen und kam mit dem Kofferraum vollgepackt mit Wein zurück. Über Kontakte und Mund-zu-Mund-Propaganda baute er sich über die Jahre ein Netzwerk auf, das so gut gespannt ist wie die Drahtanlagen in den Weinbergen. »Alles andere ist Betriebsgeheimnis«, sagt Twardowski. Von einem Ankauf erzählt er aber dann doch. Einmal machte er auf einem Flohmarkt in Trier ein besonderes Schnäppchen. Da stand inmitten von altem Trödel eine Flasche Pétrus, Jahrgang 1964. Twardowski zahlte dafür 50 Mark und fuhr noch am selben Abend in seinem klapprigen Corsa nach Hamburg, wo er die Flasche für 1000 Mark an einen Weinhändler weiter verkaufte. Die Freude über diesen Kauf ist Daniel Twardowski noch heute anzumerken, wenn er die Geschichte erzählt: »Meine Mutter und ich haben immer gerne getrödelt. Doch während sie vor allem Ramsch anhäuft, mache ich ein Geschäft daraus.«
Doch nicht immer laufen die Geschäfte glatt. Zufallstreffer wie damals auf dem Flohmarkt sind selten geworden. Und: Twardowski machte anfangs Fehler. Etwa, als er auf einer Weinauktion ein paar Flaschen eines renommierten Weinguts preisgünstig erstand und er erst im Nachhinein erfuhr, dass genau dieser Jahrgang schlecht war. »Aus solchen Fehlern habe ich gelernt«, sagt Twardowski, »jeder kann in Wein investieren, aber man muss sich vor her gut informieren und damit beschäftigen.«
»Die Preise bestimmt vor allem der Markt, nicht allein die Qualität«
Daniel Twardowski, Weinhändler
Dann kann Wein eine lukrative Wertanlage mit hohen Renditen sein. Je seltener und nachgefragter der Wein, desto teurer ist er. 2018 kamen bei einer Auktion in Genf 1064 Flaschen Wein des legendären französischen Winzers Henri Jayer für 30 Millionen Euro unter den Hammer. Das macht im Schnitt etwa 28.000 Euro pro Flasche. Auch Twardowski hat sich beizeiten eine Kiste Jayer gesichert. Allerdings nur vom vermeintlich eher schlechten Jahrgang 2000, wie er betont. Den Wert der 12er Kiste schätzt er dennoch auf etwa 50.000 Euro. Astronomische Summen verspricht sich auch das New Yorker Auktionshaus Christie’s. Dort soll dem nächst eine Flasche Pétrus versteigert werden, die 14 Monate auf der Internationalen Raumstation ISS reifte. Der Schätzpreis liegt bei umgerechnet 830.000 Euro. Kann Wein tatsächlich so viel Wert sein? Die Antwort fällt selbst Weinhändler Daniel Twardowski schwer: »Tausende Euro und mehr für eine Flasche Wein wären vielleicht gerechtfertigt, wenn ich danach vier Jahre länger lebe oder fliegen könnte«, sagt er und lacht. »Die Preise bestimmt aber vor allem der Markt, nicht allein die Qualität.«
Wie es um den Markt der sogenannten »Fine Wines« steht, zeigt der Index der Londoner Weinhandelsplattform »Liv-ex«. Er beschreibt die Preisbewegung der gefragtesten Weine weltweit. Ähnlich wie bei Wertpapierbörsen arbeitet der Liv-ex mit Indizes und Trends. Allein in den letzten fünf Jahren ist der Index um ein Drittel gestiegen, Investoren erreichten Zuwächse von bis zu zehn Prozent im Jahr. Der Liv-ex verzeichnet vor allem die sogenannten BlueChipsWeine, also solche, die bereits sehr teuer gehandelt werden. Wer heute in die Raritäten von morgen investieren möchte, sollte auf die Produkte junger, aufsteigender Winzerinnen und Winzer setzen. Twardowski sieht großes Potenzial vor allem in deutschen Weinen, insbesondere in seiner Wahlheimat der Mosel. »Hier werden bereits trockene Rieslinge von Weltklasse produziert. Wenn das in den nächsten Jahren so weitergeht, dann können wir uns hier alle anschnallen.«
Wertentscheidend sind neben der Nachfrage vor allem zwei Faktoren: die Echtheit des Weins und die Lagerung der Flaschen. Nicht ohne Grund hat Daniel Twardowski den Tresorkeller der Landeszentralbank gekauft. In zehn Meter Tiefe, umgeben vom Erdreich, herrschen konstante Temperaturen von elf bis zwölf Grad. Twardowski geht den schmalen Gang mit den Metallregalen ab und überprüft das Hygrometer: »75 Prozent Luftfeuchtigkeit. Das ist genau richtig«, sagt er zufrieden, »so trocknen die Korken nicht aus, und es ist auch nicht zu feucht. Das ist wichtig, damit sich die Etiketten nicht ablösen und sich keine Flecken bilden.« Und noch einen entscheidenden Vorteil gibt es: Der Keller ist einbruchsicher. So etwas wie im Hotel Kronenschlösschen kann Daniel Twardowski daher nicht passieren: Diebe brachen dort in die Schatzkammer ein und raubten gezielt Weine im Handels wert von mehr als 200.000 Euro. Nicht der einzige Vorfall dieser Art. Manch einer vermutet sogar, dass eine Weinmafia hinter diesen Einbrüchen steckt und die Flaschen auf dem Schwarzmarkt veräußert. Um das zu verhindern und Hehlerware schnell identifizieren zu können, setzt das Weingut Romanée-Conti zum Beispiel auf Abfüllnummern, die auf den Flaschen vermerkt sind. So können Auktionshäuser oder Importeure schnell erkennen, ob die angebotenen Weine als gestohlen gemeldet wurden. Doch nicht nur Hehlerware, auch Fälschungen sind im Umlauf. Wie man die Echtheit überprüfen kann, zeigt Daniel Twardowski am Beispiel einer Flasche Meursault-Perrières vom Weingut Coche-Dury im Burgund. Preis: 1200 bis 1300 Euro. Twardowski hält eine kleine Taschenlampe an das Etikett, und wie von Zauberhand erscheint im Licht ein Zahlencode. »Coche-Dury verwendet unsichtbare Tinte, die nur unter ultraviolettem Licht sichtbar wird«, erklärt er, »die Flaschen sind damit fast so fälschungssicher wie Banknoten.«
»Wenn wir einen Wein aus dem Geburtsjahr von jemandem öffnen, dann trinken wir ein Stück Geschichte«
Daniel Twardowski
Geld kann man nicht essen, aber in diesem Fall lässt sich das Invest immerhin trinken. Oder besser gesagt: genießen. »Wein ist ein Abenteuer und wird nie langweilig«, da ist sich Twardowski sicher, »und jede Flasche ist einzigartig.« Es ist ein Naturprodukt, das eine Geschichte erzählt. Vom Boden, der die Trauben genährt hat, vom Klima, in dem die Reben gewachsen sind und nicht zuletzt von den Winzerinnen und Winzern, die den Wein in die Flasche gebracht haben. »Wenn ich mit Freunden zusammensitze und wir einen Wein aus dem Geburtsjahr von jemandem öffnen, dann trinken wir ein Stück Geschichte.«
Für Twardowski geht es daher nicht nur um Gewinne und hohe Renditen. Er lebt Wein und hat sich daher 2004 einen persönlichen Traum erfüllt, indem er seinen eigenen Weinberg an der Mosel pflanzte. Und zwar mit Spätburgunderreben. Eine ungewöhnliche Entscheidung, wachsen doch auf den Schieferböden in den Steillagen entlang des Flusses vor allem Rieslingreben. Twardowski wollte das Terroir aber nutzen, um einen filigranen, leichten und trotzdem spannenden Rotwein zu produzieren. Der Wein reift in Barriquefässern im Keller seines kleinen Guts in Neumagen-Dhron. Der Boden und die Schieferwände schimmern feucht, kühl ist es hier unten, und durch die unverputzten Steinmauern drückt sich bei Regen das Grundwasser. Ideale Bedingungen. Der Weinkritiker James Suckling sieht Twardowski bereits unter den fünf besten Rotweinwinzern Deutschlands. Weil er in seinem Weinberg am Dhroner Hofberg immer wieder Walnussschalen fand, die Krähen dort haben fallen lassen, nannte er seinen Wein einfach Pinot Noix. Noix heißt auf Deutsch Nuss, wird aber genauso ausgesprochen wie Noir. 70 bis 90 Euro kostet eine Flasche. Gehandelt werden sie bereits für mehr als 100 Euro. Fast jeder Jahrgang restlos ausverkauft. Vielleicht wird aus dem heutigen Pinot Noix eine Weinrarität von morgen? »Das war zwar nie meine Absicht, aber wenn es so kommt, dann freue ich mich natürlich.«
Text Verena Haart Gaspar
Fotos, Video Studio Lêmrich