27.04.2023

Stattgarten: Gärtnern im grünen Bereich

Urban Gardening bedeutet, gemeinschaftliche Flächen zu bepflanzen: Grünstreifen an Kreuzungen, Restflächen um Baumringe und schlecht geplante Parks, in denen Tiere keinen Lebensraum finden. Unser Autor trifft in München drei Menschen aus der grünen Bewegung – und testet, wie Gärtnern auch Stadtmenschen gelingt

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Ich bin überzeugter Stadtmensch. Dreckige Fingernägel sind mir ein Graus, ich tippe lieber auf der Tastatur, als in der Erde zu wühlen – und die liebsten Gärten waren mir bislang immer die, die ich als hübschen Hintergrund für meine langen Joggingrunden nutzen konnte.

Meine Eltern hatten einen großen Garten, und es gab von Frühling bis Herbst keinen Tag, an dem sie nicht irgendwie darin werkelten, obwohl beide voll berufstätig waren. Meine beiden Brüder und ich wurden als Kinder in diese Arbeit eingebunden – sehr zu unserem Unmut. Beete im Frühjahr umgraben, Laub im Herbst zusammenrechen oder im Winter Sträucher zurückschneiden. Und besonders an heißen Sommertagen hieß es gerne mal: Unkraut jäten! Das habe ich so gehasst, dass ich mich in der Pubertät meinen Eltern gegenüber zu dem Satz hinreißen ließ: »Ich werde mir irgendwann mal einen Garten aus Stein zulegen.« 

Meine Mutter lacht heute noch darüber. Denn diesen Garten bekam ich tatsächlich: Ich zog vor fünf Jahren nach Hamburg in eine Stadtwohnung. Mich umgibt ein Dschungel aus Geschäftshäusern mit zubetonierten Innenhöfen. Als einziges Naturerlebnis bleibt mir die Elbe zum Joggen. Das letzte bisschen Grün, das ich vom Balkon meiner Dachwohnung erspähen kann, sind die Wipfel von riesigen immergrünen, kalifornischen Koniferen, deren Spitzen einsam aus einem riesigen grauen Häuserwald ragen. 

Mein Interesse an einem grüneren Zuhause begann mit ein paar Zimmerpflanzen. Urban Gardening war das noch lange nicht, denn dabei geht es um die Begrünung gemeinsam genutzter Freiflächen in der Stadt, nicht um die Pflege meiner eigenen Kakteen. 

Mein nächstes Pflanzenprojekt startete ich vor vier Jahren. Ich hatte einen Weg gefunden, meinen Balkon aus dem Waschraum heraus mit Wasser zu versorgen und legte mir eine Regentonne mit Bewässerungssystem aus dem Baumarkt zu: Vor dem Schlafzimmer wuchert nun Bambus, eingerahmt von Weinreben, vor denen Rhododendren blühen. Ein Stockwerk tiefer krallen sich Kletterrosen und Brombeeren an die Fassade, am Boden breiten Funkien ihren Blattschmuck aus. Als Laie machte ich zunächst viele Fehler. Schon im ersten Sommer wurde der Balkon von Blattläusen heimgesucht, die mich fast die gesamte Bepflanzung kosteten.

Von einem Freund erfuhr ich von der Urban-Gardening-Bewegung in Deutschland. Eine ernstzunehmende Szene, die sich Sorgen macht über zubetonierte Städte und mit vielen kleinen Projekten dagegen ankämpft. Diese Bewegung ist inzwischen weltweit zu finden, eine der größten Urban Gardening Communitys gibt es ausgerechnet in Tokio. Hierzulande hat man sich vor ein paar Jahren ein Manifest gegeben, das mehr als 200 Organisationen, Stiftungen und Gartenvereine unterstützen. Da heißt es unter anderem: »Die urbanen Gemeinschaftsgärten sind Experimentierräume für ein gutes Leben in der Stadt.« 

Es geht dabei nicht so sehr um den privaten Balkon, sondern viel mehr um die gemeinschaftlichen Flächen, die wir heute gar nicht oder kaum wahrnehmen: Grünstreifen an Kreuzungen, Restflächen um Baumringe und schlecht geplante Parks, in denen Tiere keinen Lebensraum finden. Um mehr zu erfahren, habe ich mich in München mit drei Menschen aus der grünen Bewegung getroffen.

Die erste heißt Almut Schenk und ist im Vorstand des Vereins »O’pflanzt is!«. Ich finde sie in ihrem Vereinsgarten hinter der Montessori-Schule im Münchner Olympiapark. Zur Begrüßung steht sie in einem großen Komposthaufen, Mistforke in der Hand. Das versteckte Gelände mit einem alten Bauwagen in der Mitte hat die Schule dem Verein überlassen. Überall sprießt es. Neben selbst gebauten Hochbeeten befindet sich im Zentrum eine riesige steinerne Kräuterspirale.

Almut Schenk hat den Verein vor zehn Jahren mitgegründet, nachdem sie sich für einen Schrebergartenplatz beworben hatte, den sie nie bekam: »Das ist so gut wie aussichtslos«, sagt sie und freut sich heute, ihren eigenen Weg gegangen zu sein. Die Lehrerin verbringt viel Zeit im Garten, der ihr aber einiges abverlangt: »Der Münchner Kiesboden macht es den Pflanzen schwer, hier zu gedeihen.« Sie habe gelernt, sogenannte Perma-Beete anzulegen, aufgeschüttete Hochbeete. Ob sie im derzeitigen Gartentrend nicht überrannt werde von neuen Mitgliedern, will ich wissen. Sie relativiert das: »Es kommen viele, aber die wenigstens wollen sich jede Woche engagieren.« Und was bei mir die Blattläuse waren, sind für Almut Schenk Schnecken: »Die kann man nur von Hand absammeln, wenn man etwas ernten möchte.« Beim Urban Gardening geht es zwar mehr um den sozialen Aspekt des Gärtnerns, aber viele wollen eben auch Essbares anpflanzen. Das kann dauern.

»Wer selbst gärtnert, weiß frisches Gemüse ganz besonders zu schätzen«

Almut Schenk, Vorständin von »O’pflanzt is!«

Wir stehen zwischen ein paar Tomatenstauden. Daneben wächst eine einzelne Gewürzgurke. Um ein Glas zu füllen, würde es wohl Monate dauern, denke ich. Die Expertin klärt mich auf: »Wir haben hier nur ein paar hundert Quadratmeter Fläche, das würde niemals einen Menschen vollkommen versorgen können.«

»O’pflanzt is!«: Bereits der Eingang des Gemeinschaftsgartens lässt erahnen, was sich dahinter verbirgt
Sehen Sie im Video: Der Sommerschnitt von Lavendel
Klicken Sie durch die Bildergalerie: Das Initiativprojekt »WERKsgarten«

Wieder daheim finde ich dazu im Internet unter dem Stichwort »Weltacker« eine interessante Zahl: Teilt man alle Ackerflächen der Welt durch die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner, kommt man auf 2000 Quadratmeter. Darauf muss alles wachsen, was ein einzelner Mensch verbraucht. Das gleichnamige Projekt »2000m²« in Berlin versucht gerade herauszufinden, was das für die Menschen hierzulande bedeuten würde. Nur so viel sei verraten: Wenn man Tierhaltung und stark beanspruchte Bodenflächen dazuzählt, wird es schwer.

»Wer Lust und Zeit hat, darf mitmachen«

Martin Schütz, Initiator des Projekts »WERKsgarten«

Vom privaten Engagement wie dem von Almut Schenk leben die meisten Urban-Gardening-Projekte hierzulande. Im Münchner Werksviertel am Ostbahnhof  treffe ich ein paar Tage später Martin Schütz, Vorstand der Stiftung »Otto Eckart«, der das Projekt »WERKsgarten« auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände ins Leben gerufen hat. Zwischen alten Schiffscontainern hat er auf Paletten Hochbeete angelegt, die unterschiedlich bepflanzt sind. Martin erwartet mich mit Harke und Handschuhen, ich darf mitmachen. Er erklärt mir: »Wir sind im klassischen Sinne kein Verein, hier darf jeder mitmachen, der Zeit und Lust hat.« Und fügt hinzu: »Wer ein Beet möchte, dem organisieren wir eins.«  Jede:r darf pflanzen, was er will, solange er oder sie sich darum kümmert, lautet die Devise. Im Unterschied zu »O’pflanzt is« bearbeitet man hier also nur seinen eigenen Pflanztrog. »Erde und Wasser werden gestellt, mindestens einmal im Jahr. Die neuen Anpflanzungen auch«, erklärt der gelernte Jurist. 

Mich wundert umso mehr, wie wenige Menschen den quasi geschenkten Garten nutzen. »Im Moment sind es etwa 20 Gärtnerinnen und Gärtner, ohne die Kinder gerechnet«, sagt Schütz. Und dabei gibt es das Projekt seit 2017, Platz wäre hier locker für 100 Pflanztröge. »Viele von denen hat übrigens die Allianz Versicherung bei einem Social Day zusammen mit ihren Mitarbeitenden gezimmert. So entstand auch die Holzhütte für Werkzeug und Utensilien zum Pflanzen«, erinnert sich Schütz. Während ich frische Zucchiniblüten esse, die er mir aus einem der Beete anbietet, klärt er mich über einen kleinen Nachteil des Projekts auf: »Wir sagen allen Teilnehmer:innen vorab, dass das hier ein öffentlicher Bereich ist. Wenn jemand wie du vorbeikommt und die Zucchiniblüte nascht – Pech gehabt.«

Das Werksviertel ist zugleich ein wichtiges Pilotprojekt der Stadt München, bei dem es um mehr geht als um privates Gärtnern. Zu Martin Schütz und mir gesellt sich ein echter Gartenprofi: Dr. Nikolas Fricke, der Nachhaltigkeitsmanager des Projekts. Ihm hat München die berühmt gewordenen Schafe auf einer Streuobstwiese auf dem Dach eines benachbarten Hochhauses zu verdanken.

Die Schafe will er heute nicht vorführen. »Im Prinzip geht es beim Urban Gardening um die soziale Seite der Nachhaltigkeit. Wir wollen den Menschen, die in der Stadt wohnen, auch die Möglichkeit geben, ihr Obst und Gemüse selbst anzubauen.« Und er will deutlich mehr. Um die Ressourcen der Stadt besser zu nutzen, betreibt er unweit des Werksviertels ein Urban-Farming-Projekt, quasi die Ausbaustufe des Urban Gardenings. Sein Ziel: »Lebensmittel in der Stadt selbst herstellen für die 2000 Menschen, die bald hier im Viertel leben werden.« 

Mindestens ebenso wichtig ist es, die Biodiversität in Städten zu steigern, also die Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Der Experte sagt: »Selbst der Spatz ist inzwischen ein seltener Bewohner geworden.« Um zu zeigen, was man mit wenig Aufwand tun kann, laufen wir zu einer Grünfläche vor einem Bürogebäude. In deren Mitte steht etwas, das an eine vertrocknete Hecke erinnert. »Das ist unsere Benjes-Hecke. Mit solchen Totholzhecken aus Schnittabfällen kann man die Vogel- und Insektenvielfalt erhöhen.« Mit Erfolg, wie mir Sekunden später zahlreiche Ameisen auf meiner Hose beweisen.

Zurück in Hamburg, betrachte ich kritisch die Pflanzen meines Balkons. Ich habe beschlossen, mehr zu wagen. Den Brombeeren werden Kartoffeln und Tomaten folgen. Beim Joggen fallen mir nun ständig Grünflächen auf, die ich zuvor höchstens als Hundetoilette wahrgenommen hatte. All das sind potenzielle Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Warum nutzen wir sie nicht? Ich beschließe, mir in Zukunft öfter mal die Finger schmutzig zu machen.


Text
     Jörn Kengelbach
Fotos  Manuel Nieberle

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