05.07.2021

Lebensretter Insulin – eine epochale Entwicklung

Viele Jahrhunderte litten und starben Menschen an einer seltsamen Krankheit, die man heute als Diabetes kennt. Bis im Sommer 1921 ein kanadischer Arzt eine Idee hatte

Die Geschichte des Insulins

1921

Frederick Banting (re.) und Charles Best
gelingt es, Insulin aus tierischen
Bauchspeicheldrüsen zu isolieren

1923

In Deutschland starten im
Oktober die Farbwerke Hoechst
die Produktion von »Insulin Hoechst«

1955

Der Brite Frederick Sanger
entschlüsselt die chemische Struktur des Insulins

1983

Das erste mittels Gentechnologie
aus Bakterien hergestellte Insulin (Humaninsulin)
kommt auf den Markt

1985

Der NovoPen (Foto), der erste Insulin-Pen,
ist erhältlich. Auch Insulinpumpen
werden nun eingesetzt

2000

Das erste langwirkende Analoginsulin
wird von Aventis auf den Markt gebracht

2025

Laut Schätzungen der WHO soll es dann
weltweit 333 Millionen Diabetiker geben.
Tendenz steigend

Als im März 1993 der 76 Jahre alte Theodore Ryder, genannt Teddy, in Hartford/Connecticut friedlich im Kreise seiner Lieben für immer die Augen schloss, war das wahrlich keine spektakuläre Meldung. Ryder war zeitlebens Bibliothekar in Hartford gewesen und damit das Gegenteil eines Promis oder einer schillernden Persönlichkeit. Aber er hatte dennoch epochale Bedeutung erlangt, war er doch im Alter von fünf Jahren einer der Ersten und gleichzeitig der Jüngste, dem zur Behandlung seiner Diabetes Insulin gespritzt worden war. Dass er danach noch 71 Jahre gesund und ohne große Komplikationen würde leben können, das hatte seinerzeit niemand für möglich gehalten.

Denn Diabetiker waren bis zum Jahr 1921 todgeweihte Menschen. Teddy Ryder litt unter ständigem Durst, war stark abgemagert, und seine Lebenserwartung wurde eher in Monaten berechnet. Aber zu seinem Glück (und dem vieler weiterer Millionen Diabetiker bis heute) machte der kanadische Arzt Frederick Banting im Sommer 1921 eine Entdeckung, die schlagartig alles veränderte.

Eine rätselhafte Krankheit

Geforscht hatten schon viele zum Thema Diabetes mellitus. Bereits im alten Ägypten oder in Indien tauchen Beschreibungen auf, und auch die alten Römer und Griechen bemerkten den süßen Harngeruch. »Die Kranken haben einen unauslöschlichen Durst und trinken und harnen sehr viel (…), wie aus geöffneten Schläuchen rinnt es unaufhörlich«, schreibt etwa der griechische Mediziner Aretaios von Kappadokien um 100 nach Christus. In dieser Zeit bekommt die Krankheit ihren Namen, denn Diabetes mellitus bedeutet in etwa »Honigsüßer Durchfluss«. Aretaios aber verortet die Krankheit in Magen oder Niere, ein Irrtum, der erst 1400 Jahre später von Paracelsus korrigiert wird. Fortan finden verschiedene Forscher und Gelehrte in aller Welt zwar immer mehr darüber heraus, jedoch bleibt Gewissheit oder gar Hilfe für die Betroffenen weiterhin aus.

Auch als 1889 Joseph von Mering und Oskar Minkowski entdeckten, dass die Bauchspeicheldrüse bei
Diabetes entscheidend ist, war man von einer Lösung noch weit entfernt. Klar war, dass von der Bauchspeicheldrüse ein Hormon abgegeben wird, das den Zuckerhaushalt im Blut reguliert. Und dass dieser Vorgang bei Diabetikern gestört ist. Aber das Hormon selbst, Insulin genannt, blieb ein Rätsel. Und vor allem, wie man es isolieren könnte.

Frederick Banting war 1921 gerade 29 Jahre alt und praktizierte als Kinderarzt und Orthopäde in Toronto.
Er war aber immer schon motiviert gewesen, ein Mittel gegen diese Krankheit zu finden und das ominöse Hormon zu entdecken und zu isolieren. Nicht zuletzt, weil ein guter Freund von ihm an Diabetes mellitus qualvoll starb. Bantings Theorie: Wenn er bei Tieren den Eingang zur Bauchspeicheldrüse abschnürt,
würden die Inselzellen, die das Insulin produzieren, nicht zerstört werden, wie es bei seinen bisherigen Versuchen passiert war. John Macleod, den Physiologen der Uni Toronto, überzeugte die Idee. Er stellte Banting die nötigen Forschungseinrichtungen, einen Assistenten mit Namen Charles Best sowie zehn Versuchshunde zur Verfügung.

Ein Schlüssel steckt in einem Zuckerwürfel.
Der Durchbruch

Den ganzen Sommer 1921 über vertieften sich Banting und Best in ihre Aufgabe, experimentierten mit toten Hunden und Kälbern, und schließlich gelang Ende Juli der Durchbruch: Das Insulin, das sie durch das Abschnüren der Bauchspeicheldrüse eines gesunden Hundes gewonnen hatten, spritzten sie einem zuckerkranken Hund. Dessen Blutzuckerspiegel sank sofort ab. Es war der entscheidende Schritt, auch wenn noch einige Hindernisse überwunden werden mussten. Etwa weil das tierische Eiweiß für den Menschen nicht verträglich war. Dafür kam der kanadische Biochemiker James Bertram Collip ins Spiel, der wiederum das Eiweiß isolierte. Im Januar 1922 schließlich wurde der erste Mensch, der 13 Jahre alte Leonard Thompson, erfolgreich mit Insulin behandelt. Und weitere sechs Monate danach eben Teddy Ryder, der jüngste Patient bis dahin. Im selben Jahr begann auch schon die industrielle Gewinnung des Stoffs – aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern. Nach diesem Meilenstein ging die Entwicklung stetig voran, und für Diabetiker verbesserte sich die Situation immer weiter.

Noch im Jahr 1923 erhielt Frederick Banting den Nobelpreis für Medizin. Aber die weit bedeutendere Auszeichnung war für ihn wohl die Dankbarkeit von Menschen wie Theodore Ryder. Wenige Monate nach seiner Insulinspritze schrieb der nun Sechsjährige in krakeligen Großbuchstaben einen Brief: »Lieber Dr. Banting, ich wünschte, Sie könnten kommen, um mich zu sehen. Ich bin jetzt ein dicker Junge, und ich fühle mich gut. Ich kann auf einen Baum klettern.«

Was ist eigentlich Diabetes?

Das Hormon Insulin sorgt im Körper dafür, dass Traubenzucker aus dem Blut in die Zellen transportiert wird. Bei Diabetikern funktioniert die Insulinproduktion jedoch nicht einwandfrei. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Typ 1 kommt seltener vor und ist Folge erblicher Veranlagung oder einer Autoimmunerkrankung, bei der die Insulin produzierenden Zellen zerstört werden. Meist tritt die Krankheit schon im Kindesalter auf. Typ-1-Diabetiker müssen ihre Ernährung genau überwachen und sich regelmäßig Insulin spritzen. Etwa 90 bis 95 Prozent der Diabetiker leiden jedoch an Typ 2, einer Stoffwechselerkrankung. Anders als Typ 1 ist Typ 2 oft heilbar und beherrschbar. Bei manchen Patienten helfen bereits eine Änderung der Lebensweise und eine gesündere Ernährung, um die Diabetes in den Griff zu bekommen.

Text                    Detlef Dresslein
Fotos                  sanofi, Novo Nordisk Pharma (2), Tine Casper
Illustrationen  Timo Lenzen

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