17.06.2021

E-Bike-Power: Frida hat’s am Berg nicht schwer

Unser Autor fährt mit seiner elfährigen Tochter eine Bergstraße hoch. Sie fröhlich voraus, er schnaufend hinterher. War es wirklich so klug, sie auf ein Elektrorad zu setzen? Protokoll einer sportlichen Niederlage

Kurze Verschnaufspause: Frida und ihr Vater brauchen eine Abkühlung

Zu den Dingen, die du als ambitionierter Freizeitsportler am allerwenigsten gebrauchen kannst, gehört Mitleid. Schon gar nicht von der elfährigen Tochter. Wir sind etwa auf halber Strecke, und mein Körper erinnert an eine altersschwache Glühbirne, die noch mal aufflackert, bevor es finster wird. Die Pulsuhr übermittelt einen Herzschlag von 170, und mein Schnaufen ist garantiert bis runter ins Tal zu hören. Wenigstens sind keine Wanderer unterwegs, die mich überholen könnten. Und Frida, dieses zauberhaft zarte Wesen, verlangsamt ihren Tritt, bis sie fast auf dem Rad steht, dann dreht sie sich zu mir um und sagt: »Hey Papi, du sagst schon Bescheid, wenn du eine Pause brauchst, oder?« Ich weiß, sie meint es nicht böse.

Die Idee klang nach einem fairen Deal. Wir Wochenendtiroler tragen in unserer schönen Zweitheimat ein Radrennen aus: die Prinzessin auf einem Jugend-E-Bike, ich mit so einer lässigen Carbon-Maschine, die dermaßen leicht ist, das man sie mit drei Fingern tragen kann. Ein fairer Deal? Ich hatte keine Ahnung, wie aussichtslos Radfahren sein kann – trotz des überwältigenden Panoramas.

Wir fahren hinauf zur Maierl-Alm, die im Winter einer der Lieblingsorte der Kitzbüheler Snowciety ist, weil man dank der Teerstraße seinen Range Rover oder Porsche Cayenne quasi mit auf die Skipiste nehmen kann. Mit einem Glas Weißwein in der Hand hängt man im Liegestuhl ab und schaut den Holländern dabei zu, wie sie auf dem Steilhang gegenüber bemerkenswerte Sturzchoreografien aufführen. Meine Tochter nutzt die Kuppe davor üblicherweise als Schanze und springt in diesen Hang hinein. Sie ist eine Meisterin der subtilen Demütigung.

Für Mountainbiker gibt es größere sportliche Herausforderungen in der Gegend. Das Kitzbüheler Horn etwa mit seinen bis zu 22 Prozent Steigung, das wie ein Leuchtturm über unserer beschaulichen Gemeinde thront und während der Österreichrundfahrt der Radprofis oft als Königsetappe dient. Das heben wir uns aber fürs nächste Mal auf. Die zehn Kilometer Einrollen durch Kirchberg und das Spertental bis rüber zur Talstation der Pengelsteingondel sind jedenfalls gemütliches Aufwärmen einerseits und Gewöhnung ans Gerät andererseits.

Frida pedaliert vor sich hin, schaltet durch die Gänge und testet kurz die elektrische Unterstützung, wobei sie einen raketenartigen Satz nach vorn macht und jauchzt. Und ich muss schon deutlich kräftiger reinstampfen, um überhaupt hinterherzukommen. In diesem Augenblick zeichnet sich in meinem Kopf schon die Niederlage ab. Meine Beine werden jetzt schon schwer.

E-Bikes sind ja im Moment das heiße Ding in der Fahrradbranche, ein gigantischer Markt mit zweistelligen Wachstumsraten, die allerlei Fantasien und Hoffnungen befeuern. In den Büros der Stadtplaner, weil E-Bikes die umweltfreundliche Lösung urbaner Verkehrsprobleme sein können. Oder in der alpinen Freizeitindustrie, weil die Räder Hochgebirgsgegenden erschließen, die bisher unerreichbar schienen. Vor allem aber stärken sie das Radfahren als gemeinschaftliches Erlebnis, indem sie Leistungsunterschiede nivellieren. Sagt man jedenfalls so. In der Praxis werde ich jedes Mal rot vor Wut (und vor Anstrengung ehrlicherweise auch), wenn auf meinen Radtouren die Rentnerpärchen in ihren grauen Funktionsjacken fröhlich an mir vorbeikurbeln.

Nun also auch meine Tochter. Frida ist in der sechsten Klasse eines Sportgymnasiums; wenn wir schwimmen gehen, bietet sie mir an, mich an Land zu ziehen, falls ich nicht mehr kann. Und beim Skifahren nimmt sie mir auf der legendären Streif-Rennstrecke locker eine Minute ab. Wenigstens beim Radfahren konnte ich sie locker auf Distanz halten. Bis dieses 24-Zoll-E-Bike namens »Haibike« kam. Vielleicht sollte man sich mit Mitte 40 nicht mehr auf Wettkämpfe mit seinen Kindern einlassen. Das Problem ist ja: Entweder sie heulen, weil sie verlieren, oder sie verspotten dich, wenn sie gewinnen. Frida stellt die elektrische Unterstützung auf die mittlere Stufe; sie tritt kurz an, lässt sich wieder zurückfallen, fährt wieder vor. Es erinnert mich ein wenig an die Psychospielchen, mit denen Lance Armstrong am Mont Ventoux Jan Ullrich so gern gequält hat.

… ihr Vater dafür umso mehr. Unser Autor musste sich auf seiner Radtour nicht nur dem Berg, sondern auch seiner Tochter geschlagen geben. Unser Autor berichtet von seinem Kampf gegen ein E-Mountainbike.
Auf der Überholspur: Wenn die Tochter E-Bike fährt, sieht man sie nur noch von hinten
Kein Ende in Sicht: Unser Autor ist sichtlich erschöpft

Die Straße schlängelt sich auf knapp vier Kilometern etwas mehr als 500 Höhenmeter den Krinberg hoch. Wir schauen hinüber zum Gaisberg, wo wir im Winter bei Flutlicht Ski fahren oder nachts rodeln und wo sich im Sommer die Downhill-Mountainbiker die Wiesen runterstürzen. Gelegentlich wartet auch mal ein Rettungswagen mit Blaulicht an der Talstation. Mein Herz pumpt angemessene 160 Schläge pro Minute, und zwei Kurven weiter steht Frida vor einem Bauernhof. Sie hatte angehalten, weil gleichzeitiges Radfahren und Trinken sie dann doch noch motorisch überfordert. Sie fährt mit der Hand durch einen Wassertrog und bespritzt mich: »Hier Papi, kleine Erfrischung.«

Und dann surrt sie auch schon weiter, völlig mühelos. Radfahren ist ja der klassische Kampf gegen sich selbst. Heute kommen als Gegner noch meine Tochter und moderne Technik hinzu. Am Trog hatte ich mich hinreichend erholt, um über ökonomisches Verhalten am Berg zu dozieren: »Teil dir deine Kräfte ein«, sage ich, »du darfst deine Energie nicht zu früh verheizen, auch auf einem E-Bike kann man sich bis zur Erschöpfung auspowern.« Frida schaut mich amüsiert an, während ich vom dritten in den zweiten Gang schalte. Und dann auch bald in den ersten. Sie grinst: »Ja, echt, guter Tipp!«

So ein Gipfelsturm verlangt Geduld, Demut und gute Nerven, weil es schier unendlich bergauf geht. Nach der Kurve ist vor der Kurve, bloß mal eben 20 Höhenmeter weiter oben. Es schadet nicht, sich große Ziele zu setzen, dennoch sollte man immer in Etappen denken. Von Kilometer zu Kilometer. Das hat mich ein ehemaliger Radprofi gelehrt, mit dem ich hier in der Gegend eine Rennradtour gefahren bin. In meinem Fall allerdings geht das Denken von Kehre zu Kehre. Nämlich dann, wenn ich nach einem günstigen Punkt für ein Päuschen suche, wo es flach genug ist, um mich überhaupt wieder aufs Rad schwingen zu können.

Während Frida das Tempo verschärft, denke ich über Erziehung nach: Bin ich dran schuld, dass sich meine beiden Kinder im dauerhaften Wettkampfmodus befinden? An der nächsten Abzweigung, die Maierl-Alm in Sicht, erhöht Frida ihre Trittfrequenz weiter. »Immer noch mittlere Stufe«, ruft sie nach hinten, »hahaha.« Mein Herz pocht, der Puls geht auf 170 hoch und steigt weiter. Ich versuche noch, dagegenzuhalten. Doch dann verschwindet sie. Unfassbar schnell geht das. Ein Punkt in roter Hose und blauem Trikot. Und er wird immer kleiner.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus der Ausgabe 04/2017 des Allianz Magazins 1890.


Text 
   Markus Götting
Fotos  Conny Mirbach

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