16.04.2021

Island: Eine Reise wie aus einer anderen Zeit

Noch ist es nicht ratsam, aber die Hoffnung lebt, dass wir irgendwann 2021 wieder verreisen dürfen. Unser Autor hatte 2020 Glück: Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort: auf Island. Dabei erlebte er die Insel so intensiv wie nie. Eindrücke einer Reise, die (noch) nicht zur Nachahmung empfohlen werden kann, deren Bilder aber zum Träumen einladen

Juli 2020: Island gilt seit zwei Monaten als nahezu Corona-frei. Die erste Welle der Pandemie hat der Inselstaat vergleichsweise schnell und glimpflich überstanden. Seit Mitte Juni dürfen auch wieder Touristen ins Land. Voraussetzung: ein negativer PCR-Test bei der Einreise. Ein paar Tage vor meiner Landung am Flughafen Keflavík wird diese Vorschrift für Deutsche sogar aufgehoben.

Stattdessen nur zwei, drei Fragen, woher ich komme und ob ich mich in den vergangenen zwei Wochen in einem Risikogebiet aufgehalten habe (nein, habe ich nicht) – und schon sagt der Grenzer: »Welcome to Iceland!«

Ich reise ein. Und ich reise ganz bewusst allein. Denn für mich bedeutet Alleinreisen kompromisslose Freiheit. Außerdem empfinde ich Eindrücke gerade in der Natur intensiver ohne menschliche Begleitung. Also suche ich in diesem Urlaub etwas, das zuletzt selbst im wilden Island immer seltener wurde: die Einsamkeit. Ungestörte Ruhe. Nur ich und die Natur. Ob ich das in Zeiten des Social Distancings wieder finden kann?

Isländische Idylle: Ein einsames Haus am Eyjafjörður, dem mit 60 Kilometer längsten Fjord von Island

Theoretisch fällt Abstandhalten in Island leicht. Die gut 360.000 Einwohner verteilen sich auf eine Fläche in etwa so groß wie die ehemalige DDR. Das bedeutet 3,5 Einwohner pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 233. Der statistische Mittelwert hinkt jedoch. Denn 60 Prozent der Isländer wohnen in Reykjavík oder der Hauptstadtregion. In diesem Ballungszentrum kommt es auch mal zu Gedränge.

Viel verstörender aber war für mich die Touristenflut der vergangenen Jahre. In den 2010ern wurde Island zu einer der angesagtesten Urlaubsdestinationen. 2019 kamen fast zwei Millionen Menschen aus aller Welt. Das ist nicht einmal die Hälfte der jährlichen Besucher von Vatikanstadt. Aber Overtourism ist relativ. Niemand erwartet, im Petersdom allein zu sein. In einer Lavawüste knapp unterhalb des nördlichen Polarkreises aber schon.

Klicken Sie durch die Bildergalerie: Tourismus-Hotspots (fast) ohne Touristen

Reisesteckbrief Island

Hinkommen: aus Deutschland in knapp vier Stunden per Flugzeug – oder mit der Fähre ab dem dänischen Hirtshals in circa 48 Stunden.
Ankommen: Der internationale Flughafen Keflavík liegt circa eine Autostunde von der Hauptstadt Reykjavík entfernt. Die Fähre legt in Sey∂isfjör∂ur ganz im Osten der Insel an.
Rumkommen: am besten per Mietwagen. Es gibt aber auch ein gutes Busnetz, das im Sommer auch das Hochland mit seinen Wandergebieten bedient.
Unterkommen: An den Küsten gibt es Hotels verschiedenster Kategorien. Im unbewohnten Hochland stehen Hütten und Campingplätze zur Verfügung. Wildes Camping ist nicht erlaubt.
Auskommen: Island ist ein teures Reiseland. De facto das teuerste Land Europas. Seit Beginn der Pandemie ist der Kurs der isländischen Krone gegenüber dem Euro jedoch deutlich gesunken. Deshalb sind Reisen nach Island für Bürger aus der Eurozone aktuell so günstig wie zuletzt vor rund acht Jahren.

Außerdem hielt die touristische Infrastruktur mit dem Ansturm nicht Schritt. Mangels Parkplätzen stellten die Menschen ihre Mietwagen auf die Wiesen. Wo keine Toiletten, da verstreute Papiertücher hinter jedem Felsen. An der Südküste oder auf dem Touristen-Daytrip schlechthin, dem »Golden Circle«, stauten sich Busse und Autos selbst auf den Landstraßen. Urlauber zelteten entlang der Straßen oder auch mal in einem privaten Garten – wirklich wahr.

Eine Folge: 2015 verbot die Regierung wildes Campen. Das ist ein gravierender Einschnitt für ein Land, das seit Jahrzehnten als Traumziel für Trekkingfreunde wie mich galt. 2019 wurde sogar eine ganze Schlucht an der Südküste gesperrt. Die Fjaðrárgljúfur war förmlich niedergetrampelt worden, nachdem Justin Bieber dort 2015 ein Musikvideo gedreht hatte. Instagram tat ein Übriges zum touristischen Overkill.

Und so machte mir mein Lieblingsland immer weniger Freude. Die magische Einsamkeit war dahin. Ganz gleich, an welchen Wasserfall man kam, drei Busladungen mit hundert Selfiesticks waren schon da. Bei den großen Touristenattraktionen wie etwa am weltberühmten Geysir musste man sich seinen Platz förmlich erkämpfen.

»Die Fontäne faucht. Ansonsten stilles Staunen«

Und jetzt? Im Sommer 2020? Stehe ich dort mit nur rund 20 anderen Zuschauern. So leer habe ich den Geysir noch nie erlebt. Um mich herum nur ein paar Isländer, die in diesem Jahr wegen Corona die Sommerferien im eigenen Land verbringen. Die Fontäne faucht. Ansonsten stilles Staunen.

Meinen Eindruck belegt die Statistik: Im Juli 2020 landen, verglichen mit dem Vorjahresmonat, 80 Prozent weniger ausländische Gäste in Keflavík. Vor allem Asiaten und Amerikaner bleiben aus. Die Einreiseverbote für den Schengen-Raum gelten auch in Island. Anzahl der Busse am Parkplatz des populären Wasserfalls Gullfoss: 0, in Worten null. Ich kann es kaum glauben.

Im Uhrzeigersinn: Die Reiseroute unseres Autors

»Zeit für mich, die unendliche Weite zu suchen. Social Distancing in Perfektion«

Nun wird es Zeit für mich, die unendliche Weite zu suchen. Social Distancing in Perfektion: Ich fahre mit meinem 4×4-Mietwagen auf die 168 Kilometer lange Kjölur-Route. Diese Schotterpiste durchquert von Süd nach Nord das Hochland. So nennt man das nahezu unbewohnte Inselinnere.

Für die erste Nacht schlage ich mein Zelt bei einer kleinen Wanderhütte am See Hagavatn auf. Bernd und Georg haben einen ähnlichen Plan. Die beiden Deutschen parken ihre Offroad-Camping-Oldtimer neben dem Zeltplatz und laden zum Plausch. Später kommt dann noch eine Gruppe isländischer Mountainbiker, die in zwei Wochen einmal über die ganze Insel fahren. Das eine Gesicht kenne ich doch – es ist Kristján, mein Kollege, als ich mal ein paar Monate in Reykjavík gearbeitet habe! So klein ist Island.

Am ersten Abend im Hochland war also schon mal nichts mit der großen Einsamkeit. Aber selten so nette Gesellschaft gehabt. Bernd schaffte es übrigens ein paar Wochen später in die isländischen Medien, weil er mit seinem Landy in einem reißenden Fluss stecken blieb. Aber das ist eine andere Geschichte.

Camping Island Oldtimer
Nordlandfahrer alten Schlags: Bernd (l.) und Georg vor einem zum Wohnmobil ausgebauten Steyr-Lkw, Baujahr 1969

Nächster Halt: Kerlingarfjöll. Dieses vulkanisch hochaktive Gebirge erinnert an die bunten Berge von Landmannalaugar. Überall zischen Dampfquellen, blubbern Schlammtöpfe. Und das Beste: nicht annähernd so überlaufen wie in den vergangenen Jahren. Ein bisschen abseits der Haupttrampelpfade erobere ich meinen eigenen Berg. Nach dem schneereichen Winter 2019/2020 mischt sich noch viel Weiß ins Braun und Ocker des Rhyolith-Gesteins. Ringsum liegen die Gletscher Langjökull und Hofsjökull wie riesige Sahnekleckse auf der Landschaft.

So geht es dann weiter. Zum Zeltplatz Hveravellir mit seinen heißen Quellen – und mit der hin und retour 22 Kilometer langen Wanderung in die Þjófadalir, die »Täler der Diebe«. Als ich die Tour 2003 zum ersten Mal machte, sah ich die Hand vor Augen nicht. Jetzt stehe ich hier allein in strahlender Sonne am Fuße eines Hängegletschers und denke mir: »Ach, so sieht das hier also aus!«

Feuer und Eis: Wandern in Kerlingarfjöll

Sehnen Sie sich auch so sehr danach, mal wieder in ein Konzert zu gehen? Auch diesen Traum erfülle ich mir auf meiner Island-Reise. Im Juli 2020 sind dort Veranstaltungen mit bis zu 500 Gästen erlaubt. Der isländische Popstar Ásgeir tourt, statt wie geplant durch die weite Welt, in diesem Sommer durch die heimische Provinz. In der Holzkirche des Fischerorts Sauðárkrókur sitze ich mit rund hundert herausgeputzten Locals (also wieder nichts mit Einsamkeit) auf harten Bänken und kann mein Glück kaum fassen. Es kommt mir vor wie ein Privatkonzert.

Und spätestens jetzt fühlt es sich auch an wie Urlaub von Corona. Weder beim Konzert noch in Geschäften oder Restaurants trägt in diesen Tagen auf Island jemand Maske. Ist ja auch nicht vorgeschrieben. Hier und da erinnern Schilder oder Aufkleber daran, zwei Meter Abstand zu halten. Aber das sind eher Relikte der ersten Welle.

Noch ahne ich nicht, dass ich den Beginn der zweiten Welle im Nordatlantik selbst miterleben werde …

Tipps zur Mietwagen-Versicherung

Die isländischen Straßen stellen jedes Auto auf die Probe – Schäden durch Unfälle oder Pannen sind an der Tagesordnung. Deshalb empfiehlt es sich bei der Versicherung eines Mietwagens, in einen Vollkaskoschutz mit möglichst geringem Selbstbehalt (»Mietwagen CDW«) zu investieren. Außerdem kann man vor Ort beim Vermieter spezifische Schäden versichern lassen wie etwa an Reifen, Glas oder Unterboden. Diese drei Zusatzversicherungen sind bei häufigen Fahrten auf unbefestigten Straßen definitiv zu empfehlen. Außerdem lassen sich Schäden durch Asche und Staub versichern. Vor allem im Frühjahr und Herbst kommt es oft zu Sandstürmen, die ein Auto im schlimmsten Fall vom Lack befreien können.

Nervenkitzel inklusive: Auto fahren in Island

Einer der beliebtesten Wege, Island zu erfahren, ist ein Roadtrip auf der sogenannten Ringstraße. Sie führt in rund 1500 Kilometern einmal um die Insel. Eben wegen ihrer Beliebtheit habe ich die Route tunlichst gemieden. Nun aber ist das Jahr gekommen, um auf der Ringstraße endlich auch einmal den mir bislang unbekannten Osten zu erkunden.

Am Wasserfall Goðafoss bestaune ich die Kaskaden, ebenso sehr aber einmal mehr einen komplett leeren Busparkplatz. Am Mývatn (»Mückensee«) hört man nun endlich wieder das tausendfache Vogelkreischen statt Motorenlärm. An der mit 469 Metern über Meeresspiegel höchst gelegenen Farm Islands »Möðrudalur« verbringe ich eine stürmische Nacht im Zelt bei zwei Grad plus (ja, wir haben immer noch Juli). Tags drauf umfahre ich die Ringstraße auf holprigen Hochlandpisten – Fahrspaß pur. 

Das von rund 1000 Meter hohen Bergen umgebene Seyðisfjörður hatte man mir oft als schönsten Ort Islands empfohlen. Stimmt absolut. Ein charmantes Künstlerdorf, die Straße zur Kirche ist in Regenbogenfarben bemalt. In den anschließenden Ostfjorden windet sich die Ringstraße durch tief eingeschnittene Buchten, um sogleich die sturmumtosten Landspitzen zu erkunden. Mein Auto und ich in dieser großartigen Landschaft. Ich hatte mir sehr viel von diesem Roadtrip erwartet. Und Island übertrifft sich wieder einmal selbst.

Dampf ablassen: Geothermalgebiete in Island

Meine nächste Zeltnacht verbringe ich auf dem Campingplatz von Höfn – definitiv nicht der schönste Ort Islands. Aber ich will am frühen Morgen zum Hoffellsjökull. Dieser Gletscher ist eigentlich nur eine Zunge des größten isländischen Gletschers Vatnajökull (»Wassergletscher«). Mehrere solcher Gletscherzungen fließen an der Südküste aus den Bergen hinab ins Flachland und fast bis hinein ins Meer.

Am Fuße des Hoffellsjökull hat ein Bauer nach heißem Wasser gebohrt – das ist in Island nicht schwer zu finden – und leitet es nun in fünf Badebottiche. Kasse und Umkleidekabinen befinden sich in Containern. Ich finde: Die Hoffell Hot Tubs bieten einen liebenswerten Kontrast zu all den Edel-Spas wie der berühmten Blauen Lagune. Zumal sich der Bauer in diesem Jahr spürbar freut, wenn mal ein Tourist vorbeikommt. Im Bottich nebenan räkelt sich ein dänisches Pärchen. Einsamkeit hin oder her: Ich genieße es, mal wieder mit Menschen zu reden.

Klicken Sie durch die Bildergalerie: Isländische Lebensart to go

Sicher unterwegs in Island

Island ist ein sicheres Reiseland. Kaum Kriminalität, kein Terrorismus, ein hoch entwickeltes Rettungs- und Gesundheitssystem. Aber die Insel aus Feuer und Eis birgt eigene Gefahren. Und zwar Naturgefahren wie Gletscherspalten, tückische Strömungen und vor allem starken Wind. Wenn das isländische Wetteramt von »kein Reisewetter« spricht, dann ist das auch so gemeint, und man bleibt besser, wo man ist.

Reisende, die mit einem Mietwagen unterwegs sind, sollten immer die Travel Conditions sowie detaillierte Informationen über Straßenzustände auf road.is im Auge behalten. Zur Einführung: die zwölf wichtigsten Tipps für Autofahrer in Island.

In Kirkjubæjarklaustur biege ich mit frisch gefülltem Tank von der seit Kurzem durchgängig asphaltierten Ringstraße ab und nehme die Hochlandpiste F208 nach Landmannalaugar. Auch hier gibt es keine Brücken. Aber alle Furten sind gut zu meistern, weil es in den vergangenen Tagen wenig geregnet hat. Das ändert sich leider, als ich mich mit Freunden zu einem verlängerten Wanderwochenende nahe Landmannalaugar treffe. Diese Gegend namens Fjallabak ist für mich die schönste Ecke Islands mit ihren schwarzen Aschebergen, dem leuchtend grünen Moos und irrwitzigen Wasserläufen.

Entsprechend viele Touristen kamen zuletzt für Daytrips aus Reykjavík hierher. In diesen Tagen indes treffen wir auf unseren Wanderungen keine Menschenseele. Was auch daran liegen mag, dass es 72 Stunden lang ununterbrochen regnet. Der eine Tag ist zudem dermaßen stürmisch, dass wir uns kaum vor die Hütte wagen.

Menschenleer: Im Hochland fällt Social Distancing leicht

Reisehinweise Island

Wie überall, so passt auch Island seine Einreisebestimmungen laufend an die aktuelle Pandemielage an. Aktuelle Informationen bieten das Auswärtige Amt und die isländische Regierung.

»Hast du gehört? Die isländische Regierung verschärft die Corona-Regeln.« Zwei Tage vor meiner Abreise bringt eine Freundin beim Wandern die Pandemie zurück in meinen Kopf. Mit den Touristen und mit aus ihrem Heimaturlaub zurückkehrenden ausländischen Arbeitskräften ist auch das Virus wieder in Island angekommen. Bereits Anfang August spricht man dort von der zweiten Welle. Plötzlich sehe ich Busfahrer mit Mund-Nasen-Schutz. Auch am Flughafen herrscht jetzt Maskenpflicht.

Spätestens beim Einchecken wird mir klar, dass ich das perfekte Zeitfenster im Pandemiejahr 2020 erwischt habe. Und so einsam, so ursprünglich werde ich Island wohl nie wieder erleben.

Was bleibt? Die Erinnerung an intensive Momente in dieser einzigartigen Natur. Und an wenige, aber umso erfreulichere Begegnungen mit Einheimischen und anderen Touristen. Selbst wenn irgendwann wieder Millionen nach Island fliegen sollten: Die Insel aus Feuer und Eis ist immer eine Reise wert.

Text, Fotos, Videos: Ingo Wilhelm

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