Jede achte Frau erkrankt an Brustkrebs. Doch Therapien werden immer besser. Wir zeigen, welche die wichtigsten sind, klären über Mythen auf – und eine Betroffene erzählt, wie sie mit einer unheilbaren Form der Krankheit lebt.
Zur Person

Prof. Dr. Michael Braun ist Chefarzt der Gynäkologie am Rotkreuzklinikum München, Leiter des Interdisziplinären Brustzentrums und stellvertretender Leiter des Onkologischen Zentrums. Er hat an der TU München sowie in Bonn studiert. Nach der Habilitation in Bonn kehrte er nach München zurück und prägt seither die Weiterentwicklung des Brustzentrums am Rotkreuzklinikum, einem der größten zertifizierten Brustzentren Deutschlands.
Der Oktober lenkt den Blick traditionell auf das Thema Brustkrebs. Statistisch gesehen erkrankt jede achte Frau im Laufe ihres Lebens mindestens einmal an einem sogenannten Mammakarzinom. Die Zahl steigt leicht – nicht, weil die Krankheit aggressiver geworden ist , sondern vor allem, weil durch Früherkennung mehr Fälle entdeckt werden und die Bevölkerung immer älter wird. Die positive Nachricht dabei: Die Sterblichkeit sinkt, weil die Therapien präziser greifen und früher gefunden wird, was behandelt werden muss, und weil die Therapien präziser greifen.
Dabei gilt die Mammographie als wichtigste Form der Früherkennung. Aktuell lädt das Bundesministerium für Gesundheit Frauen zwischen 50 und 75 Jahren zur Mammographie ein. Viele Mediziner befürworten eine Absenkung der Altersgrenze auf 45 – die Umsetzung steht allerdings noch aus. Wichtig ist: Frauen sollten die Einladung unbedingt annehmen, Fragen stellen und Unsicherheiten zum Ausdruck bringen. Die Sorge vor der Strahlenbelastung ist nachvollziehbar, tatsächlich aber weitestgehend unbegründet. Vor allem aber ist sie medizinisch gesehen kein Grund, fernzubleiben. »Die Dosis ist mit 0,1 Millisievert wirklich sehr gering und entspricht ungefähr einem Langstreckenflug. Allein die natürliche Hintergrundstrahlung in Deutschland beträgt etwa zwei Millisievert im Jahr. Im Gebirge ist sie sogar höher,« sagt Michael Braun, Chefarzt des Interdisziplinären Brustzentrums am Rotkreuzklinikum München.
Zur Vorsorge gehört auch das, was Hände spüren. Die ärztliche Tastuntersuchung ergänzt die Bildgebung sinnvoll – und sie ist in den meisten Fällen sehr viel genauer als die Selbstabtastung. Letztere schafft zwar Körperbewusstsein, kann aber verunsichern und zu unnötigen Eingriffen führen, da jede Schwankung im Zyklus als Alarmzeichen gelesen werden könnte. So können Schwellungen oder gutartige Zysten in der Brust schnell als Knoten gedeutet werden. Braun rät: »Seien Sie aufmerksam und lassen Sie Veränderungen zeitnah ärztlich abklären, aber verfallen Sie nicht in Panik.« Bei jüngeren Frauen, deren Drüsengewebe häufig dichter ist, liefert außerdem ein Ultraschall aussagekräftige Bilder.
Vom Verdacht zur Diagnose
Besteht ein Verdacht, muss diesem nachgegangen werden. Der gängige Weg ist die sogenannte Triple-Diagnostik: tasten, bildgebend abklären, Gewebeprobe entnehmen. Die Biopsie erfolgt in lokaler Betäubung, die genauere Einordnung folgt oft schon wenige Tage später. Erst dann legt der Arzt oder die Ärztin die nächsten Schritte fest. Nicht jede Patientin braucht zu Beginn eine große Ganzkörper-Abklärung. Ob solche »Staging-Untersuchungen« nötig sind, hängt vom Bild der Erkrankung ab. In Fällen, in denen die Wahrscheinlichkeit für Fernmetastasen sehr gering ist, vermeidet man so unnötige Zusatzdiagnostik und Belastung.
Aber Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Es gibt drei wesentliche Oberflächenmerkmale, nach denen Fachleute Tumore unterscheiden: Hormonrezeptoren, das Oberflächeneiweiß HER2 und – wenn beides fehlt – der sogenannte dreifach negative Typ. Je nach Merkmal wird der Brustkrebs ganz unterschiedlich behandelt: Hormonabhängige Tumore verlieren unter einer Antihormontherapie den »Treibstoff». HER2-positive Tumore sprechen auf Antikörper an, die genau dieses Ziel nutzen. Und bei den dreifach negativen Karzinomen sind in der Regel Chemotherapien das Mittel der Wahl. In bestimmten Situationen kann eine Immuntherapie hinzukommen. Das Prinzip erklärt Braun so: »Wir müssen die Erkrankung erst verstehen und dann behandeln – also nicht ein Schema für alle, sondern das passende Verfahren für den jeweiligen Befund.«
Was die Behandlung betrifft, so ist häufig eine Operation notwendig. Sie kann vor oder nach der Medikamententherapie durchgeführt werden – brusterhaltend, wenn möglich. Eine Mastektomie, also die vollständige Entfernung der Brust, erfolgt nur noch, wenn es medizinisch wirklich geboten ist. Ein Wiederaufbau ist unmittelbar nach der OP oder zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Eine anschließende Bestrahlung kann das Rückfallrisiko senken und Schmerzen lindern, wenn Knochen betroffen sind.
Die Therapie im Alltag
Vor der Behandlung brauchen Frauen heute keine Angst mehr zu haben. Moderne Medizin und neue Erkenntnisse sorgen für Lebensqualität. Braun erklärt: »Eine Chemotherapie ist heute nicht mehr das, was sie vor zwanzig Jahren war. All die Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, was die Patientinnen früher oft tagelang komplett ausgeschaltet hat, sind weitgehend vorbei.« Der Grund dafür seien begleitende Medikamente, zum Beispiel aus der Migräneforschung. Viele Frauen seien sogar während der Behandlungsphase aktiv, so Braun. Und genau das empfiehlt er auch: bewegen, spazieren gehen, den Alltag zulassen – bis zu der Grenze, die man sich selbst setzen möchte. Auch die Arbeit kann helfen, auf andere Gedanken zu kommen und sich mit anderen auszutauschen. Homeoffice ist für viele eine gute Option.
Damit der Alltag funktioniert, rät Braun zu offener Kommunikation. »Das Umfeld reagiert oft sehr unterschiedlich: Manche ziehen sich zurück, andere drängen sich regelrecht auf. Es ist wichtig, zu sagen, wenn man keinen guten Tag hat, und Grenzen zu benennen.« Wichtig sei außerdem die Schlafhygiene: das Handy rechtzeitig weglegen, kleine Abendrituale etablieren, gern mit kurzen Meditationsübungen. Auch die psychoonkologische Begleitung, die mehr Coaching als Therapie ist, empfiehlt er. »Es ist durchaus sinnvoll, sich mit jemandem zu unterhalten, bei dem man einfach mal alles rauslassen kann.«
Häufige Irrtümer und ein Ausblick
Auf die Frage nach häufigen Missverständnissen nennt Braun gleich zwei Dinge, die ihm wichtig sind. Erstens: Die Aussage »In meiner Familie hat keiner Brustkrebs, also bekomme ich es auch nicht« sei ein gefährlicher Trugschluss. Genauso falsch sei der Umkehrschluss im höheren Alter: »Jetzt bin ich schon so alt, jetzt kriege ich es auch nicht mehr.« Denn mit steigendem Alter nimmt auch das Risiko, an Krebs zu erkranken, immer weiter zu. Er empfiehlt, selbst nach dem 75. Lebensjahr noch zur Mammographie zu gehen, was etwa bei Beschwerden im Rahmen einer klinischen Abklärung möglich wäre.
Und zweitens? »Die Angst, eine Mammographie sei schädlich. Denn das führt dazu, dass Frauen dieses Angebot nicht nutzen. Fast 50 Prozent der Frauen nehmen nicht am Screening teil. Das entsetzt uns in den zertifizierten Brustzentren immer wieder.« Denn: Je früher eine Diagnose gestellt wird, desto größer ist der Spielraum, eine passende Behandlung zu finden. Die Zukunft mache ihm Mut, so Braun. Es wird neue Arzneien geben, präzisere Strategien – und damit auch mehr Perspektiven für Patientinnen.
Zur Person

Julia Salzer, Jahrgang 1976, ist an unheilbarem Brustkrebs erkrankt. Seit der Diagnose Anfang 2023 erhält sie eine hormonelle Therapie, die die Krebserkrankung chronifiziert.
»Als hätte ein Bus auf mir geparkt«
Nach einem Fahrradunfall ist für Julia Salzer plötzlich alles anders: Die Ärzte stellen Metastasen in ihren Knochen fest. Diagnose: unheilbarer Brustkrebs. Im Interview erzählt die Angestellte, wie sie damit lebt.
Frau Salzer, wie hat Ihre Geschichte begonnen? Warum blieb der Brustkrebs so lange unentdeckt?
Ich gebe zu, ich war davor bestimmt zwölf Jahre nicht beim Frauenarzt. Ich hatte keinen Freund und damit keinen Verhütungsbedarf. Außerdem hatte ich keine Beschwerden, also habe ich das Thema Früherkennung schlicht aufgeschoben. Eine reguläre Mammografie stand in meinem Alter – ich war damals 46 – noch nicht an.
Dann hatte ich im September 2022 einen Fahrradunfall: Ein Autofahrer öffnete die Autotür, ich prallte dagegen und litt danach an anhaltenden Schmerzen im Rippen- und Brustbereich. Es hieß, ich hätte eine Rippenprellung und das könnte dauern. Als die Schmerzen nach drei Monaten aber immer schlimmer wurden, überwies mich der Orthopäde zum MRT.
Was kam bei diesem Termin in der Radiologie heraus?
Am Empfang habe ich noch gescherzt, dass ich über Weihnachten drei Kilogramm abgenommen hätte. Nach dem MRT hat sich meine Stimmung schlagartig geändert. Der Arzt sagte, er sähe Infiltrationen im Knochenmark und ich sollte das dringend abklären lassen. Vor der Praxis habe ich dann gegoogelt – obwohl ich wusste, dass das ein Fehler ist – und brach in Tränen aus.
Was passierte danach?
Es folgte das sogenannte Staging: eine genaue Bestandsaufnahme im ganzen Körper. Blutuntersuchung, Gewebeprobe aus dem Beckenknochen, Bildgebung von Brust und Organen, dann eine Knochenszintigrafie. Das ging bei mir recht schnell, weil die Ärzte die Dringlichkeit sahen und alles sehr gut koordiniert war. Dann kam die Diagnose: Ich hatte einen hormonrezeptorpositiven Brustkrebs, also einen Tumor, der auf weibliche Hormone reagiert – und bereits Metastasen in den Knochen gebildet hatte.
Was bedeutet das für die Behandlung?
Dass man dem Tumor das »Futter« entziehen muss, also die Hormone. Ich erhalte eine antihormonelle Therapie, die mich künstlich in die Menopause versetzt, sowie ein Medikament, das die Zellteilung bremst.
Können Sie die Therapie genauer erklären?
Natürlich. Ich bekomme einmal im Monat eine Spritze, die die weiblichen Hormone stark absenkt und mich künstlich in die Menopause versetzt. Außerdem nehme ich täglich eine Tablette, die verhindert, dass der Körper aus Vorstufen doch wieder Hormone bildet. Bildlich gesprochen, schließt sie das »Schlüsselloch«, an das das Hormon andocken kann. Außerdem nehme ich einen sogenannten CDK4/6-Inhibitor, der die Zellteilung bremst. So hat der Tumor kaum noch Chancen, sich zu vermehren. Zusätzlich erhalte ich Bisphosphonate, eine Art »Knochenschützer«. Sie verhindern, dass meine von Metastasen befallenen Knochen weiter abgebaut werden.
Gab es mit dieser Therapie einen Wendepunkt, den Sie sofort gespürt haben?
Ja. Unmittelbar nach der ersten Spritze. Schon am nächsten Tag ließ dieser unglaublich starke Druckschmerz nach. Nach meinem Unfall fühlte es sich an, als würde ein Bus auf mir parken. Das war für mich der Moment, in dem ich Hoffnung geschöpft habe und wusste: »Ich schaffe das!«.
Aber der Brustkrebs ist damit nicht weg, oder?
Nein. Meine Form des Brustkrebs ist nicht heilbar. Deshalb wurde er chronifiziert, also zu einer chronischen Erkrankung gemacht. Die Metastasen in meinen Knochen ruhen. In bildgebenden Verfahren kann man sehen, dass der Primärtumor in der Brust fast verschwunden ist. Die Therapie, die ich oben erläutert habe, hält das Ganze in Schach. Wie lange? Das weiß man noch nicht genau. Entscheidend sind regelmäßige Kontrollen. Und falls meine Therapie nicht mehr ausreicht, gäbe es weitere Behandlungsoptionen.
Wie leben Sie mit dieser Dauertherapie? Leiden Sie an Nebenwirkungen?
Ich kann meinen Alltag gut organisieren. Meine Krankheit hilft mir auch, Routinen zu haben, mich zu bewegen, gut zu essen und kleine Dinge bewusst zu genießen.
Aber natürlich spüre ich Nebenwirkungen – vor allem die abrupt eingeleitete Menopause: Libidoverlust, Gewichtszunahme, Veränderungen von Haut, Haaren und Nägeln. Manchmal bin ich sehr träge. Das ist nicht schön, klar. Aber im Vergleich zu den Schmerzen, die ich vor der Behandlung hatte, empfinde ich das alles als kleine Probleme.
Was raten Sie anderen Frauen – gerade denen, die Angst vor der Diagnose haben?
Ganz wichtig: Nicht googeln, wenn ihr frisch eine beunruhigende Info bekommen habt. Das Internet spuckt alles aus – oft veraltet, fast immer aber zutiefst verunsichernd. Besser ist es, direkt mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu sprechen. Und: Das Thema Früherkennung ernst nehmen. Bei regelmäßigen gynäkologischen Checks können Auffälligkeiten erkannt werden. Ich fände es außerdem gut, wenn man das Alter für die erste Mammographie auf 45 herabsetzen würde.
Allen Betroffenen kann ich nur raten: Nehmt die Therapie aktiv an, stellt Fragen, sucht euch Unterstützung und versucht so gut wie möglich mitzuhelfen, statt euch der Situation einfach zu ergeben. Mir persönlich tut das Gefühl gut, selbst einen, wenn auch kleinen, Beitrag zu meiner Therapie leisten zu können: Bewegung, Ernährung, Tagesstruktur. Diese Selbstermächtigung macht mich psychisch resilienter.
Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken, was für ein Gefühl überwiegt?
Dankbarkeit. Der erste Tag, das Gespräch nach dem MRT, war der absolute Tiefpunkt. Aber schon kurze Zeit danach ging es Schritt für Schritt aufwärts. Natürlich lag das auch an der schnellen Diagnostik und der passenden Therapie. Heute arbeite ich wieder und habe keine Schmerzen. Allein, dass ich mich über die Nebenwirkungen ärgere und heute mit Ihnen über meine Krankheit sprechen kann, zeigt mir doch, wie viel Glück ich hatte.
Danke für Ihre Geschichte und Ihre Offenheit, Frau Salzer.
Text Margret Meincken
Bilder iStock/kali; privat