22.09.2025

Wilder Herbst

Wenn die Tage kürzer werden, steigt die Gefahr von Wildunfällen. Allein im letzten Jahr verursachten sie Schäden von über einer Milliarde Euro. Doch viele Kollisionen lassen sich vermeiden. Experten erklären, wie Sie sicher durch den Herbst kommen und was im Ernstfall zu tun ist.

Wildunfälle in Zahlen

Alle 2,5 Minuten kollidiert statistisch gesehen ein Fahrzeug mit einem größeren Wildtier in Deutschland.

Über 1,1 Milliarden Euro zahlten die Kfz-Versicherer im Jahr 2024 für Schäden aus Wildunfällen.

4.100 Euro beträgt die durchschnittliche Schadenssumme nach einer Kollision mit Wild.

Rund 50 Prozent der gemeldeten Wildunfälle passieren mit Rehen. Dahinter folgen Raubsäuger wie Fuchs, Waschbär, Dachs, Marderhund und danach Hase und Kaninchen.

Die Dämmerung hat die Wälder bereits in ein tiefes Blau getaucht, als Polizeihauptkommissar Christian Pongratz auf der Landstraße durch den Bayerischen Wald nach Hause fährt. Ein alltäglicher Weg, den er unzählige Male gefahren ist. Er kennt die Kurven, die Senken und die Stellen, an denen oft Rehe am Waldrand äsen. Als Polizist und Jäger weiß er um die Gefahr, die hier im Verborgenen lauert. Plötzlich, wie aus dem Nichts, durchbricht ein Schatten den Lichtkegel seiner Scheinwerfer. Ein Keiler, dunkel und massiv, schießt über den Asphalt. Pongratz reagiert instinktiv: eine Vollbremsung, das Lenkrad fest umklammert, kein Ausweichversuch. Die Reifen quietschen, der Wagen kommt wenige Meter vor der Stelle zum Stehen, an der das Wildschwein die Straße überquert hat. In diesem Fall ist alles noch einmal gut gegangen.

Alltägliches Risiko mit hohen Kosten

Doch nicht alle haben so viel Glück. Bundesweit registrieren die Versicherer täglich im Schnitt über 750 Wildunfälle. Im Jahr 2024 haben deutsche Autoversicherer mehr als 276.000 solcher Kollisionen erfasst. Die Schäden summierten sich laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf mehr als 1,1 Milliarden Euro. Besonders hoch ist die Gefahr im Herbst. Durch die Zeitumstellung fällt der morgendliche Berufsverkehr genau in die Phase der Dämmerung, in der die Tiere besonders aktiv sind. In Vorbereitung auf die Wintermonate sind sie auf Nahrungssuche unterwegs. »Für einige Wildarten wie Dam- und Schwarzwild beginnt im Oktober/November außerdem die Paarungszeit«, erklärt Gerd Gaudig vom Deutschen Jagdverband (DJV). Hormongesteuert und unaufmerksam überqueren sie dann die Straßen, die ihre Lebensräume durchschneiden.

Der Kardinalfehler: Ausweichen um jeden Preis

Steht plötzlich ein Tier auf der Fahrbahn, handeln viele Fahrerinnen und Fahrer instinktiv falsch: Sie verreißen das Lenkrad. »Die einzig richtige Reaktion für Autofahrer ist: voll bremsen und draufhalten«, stellt Unfallforscher Siegfried Brockmann von der Björn-Steiger-Stiftung klar. Ein Zusammenstoß mit einem Tier sei in der Regel weniger gefährlich als riskante Ausweichmanöver, die am Baum, im Gegenverkehr oder im Straßengraben enden. »Moderne Fahrzeuge sind mit ihren Sicherheitssystemen wie Gurt und Airbag auf einen Frontalaufprall ausgelegt«, erklärt Brockmann.

„Die einzig richtige Reaktion für Autofahrer ist: voll bremsen und draufhalten“

Siegfried Brockmann, Unfallforscher

Die Kräfte, die bei einem Zusammenstoß wirken, sind enorm. Eine Kollision mit einem Rothirsch bei Tempo 60 entspricht dem Aufprallgewicht eines fünf Tonnen schweren Elefanten. Um im Ernstfall richtig handeln zu können, plädiert Brockmann dafür, das richtige Verhalten bereits in der Fahrschule zu thematisieren – und dieses dann regelmäßig zu trainieren: »Fahrsicherheitstrainings können diese Reaktion automatisieren. Dort sollte aber eben nicht nur das Ausweichen, sondern auch das Draufhalten geübt werden.«

Vorausschauend fahren, Gefahren erkennen

Der beste Schutz vor Unfällen ist die Prävention. »Entscheidend bleibt das Verhalten der Fahrzeugführer«, betont Polizeihauptkommissar Pongratz. »Wer in gefährdeten Bereichen aufmerksam fährt, die Geschwindigkeit reduziert und stets bremsbereit bleibt, leistet den wichtigsten Beitrag zur eigenen Sicherheit.«

„Rechnen Sie immer mit Nachzüglern“

Gerd Gaudig, Jäger

Gerd Gaudig vom Jagdverband rät, die Fahrbahnränder immer im Blick zu behalten und besonders aufmerksam zu sein an unübersichtlichen Wald- und Feldrändern sowie in Wäldern und auf neuen Straßen. »Wildtiere halten sich tagsüber oft im Wald auf, ihrem Wohnzimmer, und wandern in der Dämmerung zur Nahrungsaufnahme auf die Felder, in ihre Esszimmer«, erklärt er. Wenn ein Tier die Straße überquert, ist zudem besondere Vorsicht geboten: »Rechnen Sie immer mit Nachzüglern«, so Gaudig. Rehe oder Wildschweine sind selten allein unterwegs. Taucht Wild auf, sollte man das Fernlicht abblenden – grelles Licht kann Wildtiere orientierungslos machen –, kontrolliert bremsen und hupen. 

Was technische Hilfsmittel wirklich bringen

Entlang gefährdeter Strecken können verschiedene Maßnahmen das Unfallrisiko senken. Wildschutzzäune gelten als sehr effektiv, sind jedoch teuer und nicht flächendeckend vorhanden. Die Wirkung von blauen Wildwarnreflektoren an Leitpfosten ist unter Experten umstritten. »Meine persönliche Erfahrung und der Austausch mit Behörden zeigen, dass sie keine wirklich signifikante abschreckende Wirkung haben«, erklärt Gaudig.

„Der wichtigste Schutzfaktor ist und bleibt der Mensch selbst“

Christian Pongratz, Polizeihauptkommissar

Auch Unfallforscher Brockmann sieht die Verantwortung bei der Infrastruktur und der Fahrzeugtechnik. So könnten hindernisfreie Straßenränder schwere Unfallfolgen vermindern. Er fordert zudem die Autohersteller auf, moderne Technik besser zu nutzen: »Infrarotsensoren können Wild auch hinter Büschen erkennen und die Fahrer warnen. Noch besser wäre es, wenn sie mit dem Notbremssystem gekoppelt wären«. Doch auch die beste Technik entbindet den Menschen nicht von seiner Verantwortung. Polizeihauptkommissar Pongratz fasst es zusammen: »Der wichtigste Schutzfaktor ist und bleibt der Mensch selbst – durch Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme und eine angepasste Geschwindigkeit«.

Text Sonja Hoogendoorn/Katharina Köck
Foto iStock/Ekalunda

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