Knapp die Hälfte der Deutschen greift zu Supplements. Häufig Geldverschwendung, nicht selten sogar schädlich, sagt Ernährungsmediziner Matthias Riedl. Er verrät, wie Sie einen Mangel auch ohne viele Pillen vermeiden.
Zur Person

Dr. Matthias Riedl ist ärztlicher Direktor am Medicum Hamburg, Europas größtem Zentrum für Ernährung und Diabetes. Er zählt zu den renommiertesten Ernährungsmedizinern Deutschlands, hat die App myFoodDoctor entwickelt und mehr als 30 Bücher über gesunde Ernährung geschrieben.

Riedls aktuelles Buch »Die 28-Tage-Power-Nährstoffkur« beschäftigt sich mit den wichtigsten Vitalstoffen, die wir idealerweise über die Nahrung zu uns nehmen. Doch das ist gar nicht so einfach. Mit gesunden Rezepten und fundierten Empfehlungen zeigt er, wie ausgewogenes, gesundes Essen auch ohne Pillen funktionieren kann.
Ob in der Apotheke oder im Drogeriemarkt: Die Regale sind voll mit Nahrungsergänzungsmitteln. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für die allgemeine Gesundheit?
Das ist eindeutig ein schlechtes Zeichen: Viele Menschen glauben, dass sie einen Mangel an Mikro- und Makronährstoffen haben. Und sie sind der Überzeugung, dass sie mit Nahrungsergänzungsmitteln ihre Gesundheit boostern können. Meist liegen sie mit beiden Annahmen daneben. Man kann davon ausgehen: Fast alle treffen bei Nahrungsergänzungsmitteln falsche Entscheidungen – und werfen damit nicht nur Geld zum Fenster raus, sondern schaden sich sogar. Nehmen Sie zum Beispiel diese beliebten Brausetabletten etwa mit Magnesium oder Vitaminen: Da ist häufig viel Natrium enthalten, was die im Schnitt sowieso schon hohe Natriumaufnahme unnötigerweise steigert und dadurch Bluthochdruck und Infarkte fördern kann.
Dann verschaffen Sie uns mehr Durchblick. Was versteht man eigentlich unter dem Überbegriff Nahrungsergänzungsmittel?Nahrungsergänzungsmittel – neudeutsch auch Supplements genannt – gelten in der EU rechtlich als Lebensmittel und nicht als Arzneimittel. Das bedeutet, dass die Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden muss. Es ist ein wilder Markt entstanden, der von Vitaminen über Mineralien, Aminosäuren bis Proteinpulver reicht. Das Angebot wird immer größer und unübersichtlicher.
»In den meisten Fällen lässt sich der Nährstoffbedarf durch eine ausgewogene Ernährung abdecken«
Dr. Matthias Riedl
Aus Ihrer Sicht als Ernährungsmediziner: Bei welchen Nährstoffen kann es durchaus sinnvoll sein, sie ergänzend zu einer ausgewogenen Ernährung einzunehmen?
Zunächst ist mein Rat, dass man sich nicht auf Verdacht selbst medikamentiert, sondern sich je nach Lebenssituation und Beschwerden vom Facharzt untersuchen und beraten lässt. Für bestimmte Gruppen wie Schwangere, Veganer oder chronisch Erkrankte kann eine gezielte Ergänzung der Nahrung empfehlenswert sein. In den meisten Fällen lässt sich der Nährstoffbedarf jedoch durch eine ausgewogene Ernährung abdecken.
Wie kann ich herausfinden, ob ich gut versorgt bin oder doch besser nachhelfen sollte?
Als Faustregel kann man sagen: Wer sehr viel hochverarbeitete Lebensmittel wie Fertiggerichte und wenig Gemüse isst, bei dem ist eine Unterversorgung relativ wahrscheinlich. Das gilt umso mehr, wenn sich die betreffende Person auch noch oft schlapp fühlt oder kränkelt. Sicherheit gibt aber immer nur eine gezielte Blutanalyse beim Arzt.
»Wer jetzt am Ende des Sommers zu wenig Vitamin D gespeichert hat, muss vermutlich das ganze Jahr über ergänzen«
Welche Vitamine und Mineralstoffe gibt es, bei denen die Versorgung hierzulande kritisch ist?
Gerade der Herbst ist eine gute Zeit, um den Vitamin-D-Spiegel messen zu lassen. Er ist in unseren nördlichen Breiten bei etwa 80 Prozent der Bevölkerung zu niedrig. Wer jetzt am Ende des Sommers zu wenig Vitamin D gespeichert hat, muss vermutlich das ganze Jahr über ergänzen. Denn der Körper kann Vitamin D nur in geringem Maß über die Nahrung aufnehmen. Er muss es mit Hilfe von Sonnenlicht auf der Haut selbst herstellen. Unser Organismus benötigt dringend genügend Vitamin D – zum Beispiel für starke Knochen, Muskeln und ein funktionierendes Immunsystem. Wenn der Bluttest ein niedriges Level ergibt, kann eine Supplementierung absolut sinnvoll sein.
Wie sieht es mit Jod aus? Deutschland gilt als Mangelgebiet.
Auch wenn sich die Versorgung in Deutschland seit 1975 vor allem durch die Jodierung von Speisesalz deutlich verbessert hat, nimmt mindestens jeder Dritte nicht ausreichend Jod zu sich. Das Spurenelement ist vor allem für die Schilddrüse und die Produktion der Schilddrüsenhormone unverzichtbar. Auch hier gilt: Mehr hilft nicht unbedingt mehr. Bei einer Überdosierung kann es zu Fehlfunktionen der Schilddrüse kommen. Für eine gute Jodversorgung reicht es in der Regel, wenn Sie zum Kochen und Würzen jodiertes Salz verwenden und ein- bis zweimal in der Woche Seefisch essen. Auch Muscheln und Garnelen liefern Jod.
Bei Antriebslosigkeit, Infektanfälligkeit und auffallender Blässe unterstellt man gerade Frauen häufig Eisenmangel. Was hat es damit auf sich?
Eisen ist an vielen Stoffwechselprozessen im Körper beteiligt und unentbehrlich für die Energieversorgung der Zellen, für den Transport von Sauerstoff im Blut und die Immunabwehr. Die Versorgung gilt hierzulande als gut, trotzdem kann es zu einer Unterversorgung kommen, etwa wenn man kein Fleisch isst. Auch Kinder in der Wachstumsphase, menstruierende Frauen sowie Schwangere und Stillende haben einen höheren Eisenbedarf. Eine Supplementierung ist bei Gesunden in der Regel nicht nötig, weil sich der Bedarf durch Fleisch, Fisch, Eier, Vollkorngetreide, Nüsse und Hülsenfrüchte gut decken lässt.
Ein Topseller unter den Supplements sind Magnesiumpräparate. Ihre Einschätzung dazu?
Magnesium ist wichtig für die Reizübertragung von den Nerven auf die Muskeln, für die Steuerung von Blutdruck und Herzrhythmus sowie für den Knochenaufbau. Umso erschreckender finde ich es, dass im Durchschnitt fast ein Drittel der Erwachsenen nicht die empfohlene Tagesdosis erreicht. Besonders schlecht ist die Versorgung bei jungen Frauen. Im Normalfall muss man es eigentlich nicht supplementieren, zumal es bei Überdosierung Durchfall verursachen kann. Der Bedarf lässt sich ähnlich wie bei Eisen sehr gut über die Ernährung decken. Mit einer kleinen Handvoll Nüsse und Kerne – zum Beispiel über dem Salat – haben Sie schon fast den halben Tagesbedarf gedeckt. Auch grünes Blattgemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte sind Magnesiumbomben.
Welche Präparate sind pure Geldverschwendung?
Völliger Quatsch ist es zum Beispiel, auf eigene Faust nach dem Motto »Viel hilft viel« Multivitaminpräparate einzunehmen. Ernährungsmediziner empfehlen selten solche Kombipräparate, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass man an Dutzenden von Vitaminen gleichzeitig Mangel leidet. Abgesehen davon können auch hier Überdosierungen Schaden anrichten.
Was ist mit Kollagenpräparaten gegen Gelenkbeschwerden?
Das ist äußerst umstritten unter Orthopäden. Es gibt aktuell keine seriösen wissenschaftlichen Studien, dass man seinen Gelenken damit etwas Gutes tut. Aber in der Regel schadet es zumindest nicht.
»Eine Überdosierung ist nur mit Supplements möglich«
Welche Vitamin-Supplements können ernste gesundheitliche Schäden anrichten, wenn man es übertreibt?
Es gibt keine Studien zu der Frage, was Überdosierungen anrichten können. So ein Ansatz wäre unethisch. Das kommt immer nur durch Zufall heraus, wie bei Vitamin B3 oder Vitamin B6, wo dauerhafte Überdosierungen im schlimmsten Fall zu Leberschäden und neurologischen Störungen führen können. Oder bei hochdosierten Vitamin-C-Präparaten, die unter Umständen die Entstehung von Nierensteinen begünstigen. Die Fachwelt ist lange davon ausgegangen, dass sich diese wasserlöslichen Vitamine nicht überdosieren lassen. Wobei ich betonen will: So eine Überdosierung ist nur mit Supplements möglich. Mit natürlichen Lebensmitteln kann das nicht passieren. Auch wenn Sie noch so viel Paprika oder Orangen essen würden, um beim Beispiel Vitamin C zu bleiben.
Nehmen Sie selbst Nahrungsergänzungsmittel ein – und wenn ja: welche?
Ich persönlich ergänze drei Stoffe: Zum einen Vitamin D, weil mein Spiegel zu niedrig ist. Zweitens nehme ich Vitamin B3 zur Vorbeugung gegen weißen Hautkrebs. In Studien ist aufgefallen, dass sich Vitamin B3 gut zur Behandlung sonnenbedingter Hautschäden eignet, der sogenannten aktinischen Keratose, einer Vorstufe des weißen Hautkrebses. Als Wassersportler um die 60 gehöre ich zur Risikogruppe. Und drittens supplementiere ich Omega-3-Fettsäuren.
Warum ausgerechnet Omega-3-Fettsäuren?
Omega-3-Fettsäuren sind die gesündesten unter den mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Egal, ob es um den Aufbau der Zellmembran geht, um Nerven- und Nierenfunktion, Hormone, Blutdruck oder Blutgerinnung: für alles sind sie unabdingbar. Sie stärken die Immunabwehr und können Entzündungen lindern. Zudem wirken sie Alzheimer und Diabetes Typ 2 entgegen. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Mengen werden von vielen Menschen leider nicht erreicht, denn nur wenige Lebensmittel wie fettreicher Seefisch und Nüsse sind wirklich reich an diesen lebenswichtigen Fettsäuren. Daher rate ich hier ausnahmsweise jedem, seinen Omega-3-Status per Bluttest überprüfen zu lassen. Ein sehr niedriger Spiegel, wie auch ich ihn habe, kann anschließend mit Kapseln oder Öl wieder auf ein gesundes Niveau gebracht werden.
»Essen Sie 25 verschiedene Obst- und Gemüsesorten pro Woche«
Was ist Ihr bester Rat, um sich gesund zu ernähren und einen Nährstoffmangel zu vermeiden?
Wenn Sie sich nur eine einzige Aufgabe zur Verbesserung der Ernährung vornehmen, dann wäre meine Empfehlung: Essen Sie 25 verschiedene Obst- und Gemüsesorten pro Woche. Das klingt erst mal unglaublich schwierig, ist es aber nicht. Da zählen ja auch Kräuter, Nüsse und Saaten dazu. Wenn man sich ein Gemüsecurry kocht oder einen gemischten Salat zubereitet, dann hat man schnell sieben oder acht Sachen zusammen. Letztlich ist es eine Gewöhnungssache. Schon beim Einkaufen und bei der Auswahl der Gerichte auf die Vielfalt der verwendeten frischen Zutaten achten – das wird ganz schnell zu einer gesunden Angewohnheit.
Text Katja Hertin
Foto privat, AdobeStock/Kaesler Media