Rundrücken, Handynacken, verspannte Schultern – wer viel sitzt und auf Displays starrt, kennt das Thema nur zu gut. Zwei Experten erklären, warum Haltung mehr ist als nur Körpersprache – und wie kleine Veränderungen im Alltag Großes bewirken können.
Hallo, Sie! Beobachten Sie sich mal selbst, während Sie diesen Beitrag lesen. Ist Ihre Haltung aufrecht, mit geradem Blick nach vorn? Oder beugen Sie sich mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Nacken über Laptop oder Smartphone? Ehrlich gesagt: Ich ertappe mich ständig dabei, wie ich mich nach vorne zusammenkrümme – ob bei der Bildschirmarbeit am Schreibtisch oder beim Scrollen auf der Couch. Die Folge: Ich spüre regelmäßig Verspannungen in Nacken, Schultern und Rücken.
Zur Person
Dr. Matthias Manke ist Orthopäde mit eigener Praxis in Bochum. Er war Mannschaftsarzt des FC Schalke 04 und betreut heute Athlet:innen am Olympiastützpunkt Bochum-Wattenscheid. Mit Auftritten in TV, Radio und Ratgeberbüchern wie »Wenn der Orthopäde Rücken hat« oder »Schluss mit Nackenschmerzen« ist er ein verständlicher und praxisnaher Gesundheitsbotschafter.
Das Phänomen hat einen Namen: »Tech Neck«
Damit bin ich nicht die Einzige. Laut Statistischem Bundesamt leiden knapp ein Drittel der Erwachsenen und rund ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen unter Rückenschmerzen. Muskel-Skelett-Erkrankungen zählen zu den häufigsten Ursachen für Fehltage. Die fortschreitende Digitalisierung scheint das Problem zu verstärken: Ob in der U-Bahn, im Café oder im Park – überall sieht man Menschen, die sich über ihr Handy beugen: »Tech Neck« heißt das Phänomen, das sich in Verspannungen, Schmerzen und vorzeitigen Falten im Halsbereich äußert.
Doch was hilft gegen den digitalen Buckel? Dazu habe ich zwei Experten aus unterschiedlichen Disziplinen befragt: den Orthopäden Matthias Manke mit eigener Praxis in Bochum sowie den Yogalehrer, Heilpraktiker und Atemtherapeuten Sascha Peschke aus München.
»Immer häufiger kommen Eltern mit Kindern, die unter Rückenschmerzen leiden.«
Matthias Manke, Orthopäde
Anruf bei »Revierdoc« Matthias Manke, auf den ich aufmerksam geworden bin, weil er in seinem Bestseller »Wenn der Orthopäde Rücken hat« auch über seine persönlichen Erfahrungen mit einem Bandscheibenvorfall berichtet. Manke erzählt, dass sich das Beschwerdebild in seiner Praxis verändert hat. »Immer häufiger kommen Eltern mit Kindern, die unter Rückenschmerzen leiden. Oft beobachte ich dann schon bei jungen Patienten diese typische Haltung mit nach vorn gebeugten Schultern und gesenktem Nacken.«
Die Gründe sieht der Orthopäde nicht nur in der Bildschirmzeit, sondern auch in der digitalen Bequemlichkeit. Computerarbeit, Online-Shopping, Essensbestellung, Gaming oder Streaming – alles lässt sich heute bequem vom Sofa aus erledigen. Bewegung? Fehlanzeige.
Zur Person
Sascha Peschke ist Heilpraktiker, Yogalehrer und Atemtherapeut mit über 25 Jahren Erfahrung in Yoga, manueller Körperarbeit, Akupressur, Chiropraktik und Thai-Massage. Peschke hat den 1. FC Augsburg über zwei Jahre als Yogalehrer begleitet und ist regelmäßig in der ORF-Sendung »Yoga-Magazin« zu sehen. Seine Arbeit ist darauf ausgerichtet, Atem- und Körperbewusstsein zu fördern und Haltungsprobleme auf ganzheitliche Weise zu lösen.
»Der Körper profitiert von Abwechslung.«
Sascha Peschke, Yogalehrer
Auch für Yogalehrer Sascha Peschke ist das lange, weitgehend statische Sitzen der Hauptgrund für Nacken- und Rückenbeschwerden. Der Schul- und der Alternativmediziner sind sich einig: »Der Körper profitiert von Abwechslung.« Starre Routinen sollten durchbrochen werden. Warum nicht mal den klassischen Bürostuhl gegen einen dynamischen Hocker oder Sitzball tauschen? Oder eine Zeitlang im Stehen arbeiten – am höhenverstellbaren Tisch oder am Küchentresen? Ein Brainstorming mit der Kollegin oder ein längeres Telefonat mit einem Spaziergang um den Block verbinden? Unser Körper dankt es uns.
Der Arbeitsplatz als Haltungstrainer
Am Schreibtisch gilt: Der Bildschirm sollte auf Augenhöhe stehen, damit man aufrecht sitzen kann – die Beine im 90-Grad-Winkel, die Unterarme waagerecht auf der Tischplatte, der Kopf über den Schultern. Wer – wie ich – viel am Laptop arbeitet, sollte in eine Erhöhung und externe Tastatur investieren. »Viele wissen nicht, wie stark der Nacken belastet wird, wenn der Kopf geneigt ist«, sagt Peschke. »Bei 45 Grad Neigung wirken über 20 Kilogramm auf die Nackenmuskulatur. Das führt zu Verspannungen – mit Folgen für Wohlbefinden und Atmung.«
Haltung und Psyche hängen eng zusammen, erklärt Orthopäde Manke: »Wer über längere Zeit seelische oder körperliche Schmerzen hat, fällt physisch in sich zusammen. Das begünstigt Fehlhaltungen und kann langfristig Muskeln, Gelenke und Knochen schädigen. Umgekehrt drücken sich Offenheit und Selbstbewusstsein auch in einer aufrechten, dynamischen Haltung aus. Es ist ein in sich greifendes System, das sich im Positiven wie Negativen verstärkt.«
Sascha Peschke weist auf den Zusammenhang zwischen Haltung und Atmung hin: »Wer nach vorne gekrümmt sitzt, bringt sich selbst um die Möglichkeit einer entspannten Bauchatmung. Die Atmung spielt sich dann hauptsächlich im seitlichen Rippenbereich ab. Das signalisiert dem Körper Stress. Wenn man eine Haltung einnimmt, bei der der Atem entspannt in den Bauch fließt, kann das System wieder herunterfahren.«

Der Orthopäde ist auch Motivator
Zu viel Stress und zu wenig Bewegung – das sieht Matthias Manke im Rückblick auch als Ursache für seinen eigenen Bandscheibenvorfall. Um die drohende OP kam der Orthopäde nur herum, weil er monatelang diszipliniert an seinen körperlichen Schwachpunkten gearbeitet hat – unter anderem mit Beckenboden-, Koordinations- und Krafttraining. »Ich rede mit meinen Patienten Klartext. Auch aus eigener schmerzhafter Erfahrung weiß ich: Wer Rückenprobleme hat, muss aktiv werden und gezielte Bewegungsimpulse setzen. Da bin ich nicht nur als Orthopäde, sondern auch als Motivator gefragt.«
Passive Maßnahmen wie Wärmepflaster, Massagen oder Schmerzmittel können zwar die Symptome lindern, ändern aber grundsätzlich nichts am Problem. Und eine Operation? »Die bringt nichts, wenn man nicht sein Verhalten umstellt. Wenn man weitermacht wie gewohnt, kommen die Beschwerden zurück – und oft heißt es dann: Nach der OP ist vor der OP.«
Einfache Übungen, die helfen
Welche Übungen sind nun besonders geeignet, um dem nach vorne verschobenen »Geierhals«, dem Handynacken und Rundrücken entgegenzuarbeiten? Alles, was in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Manke empfiehlt mir zwei unkomplizierte Übungen zur täglichen Routine:
Warnsignale für den Arztbesuch
Und wann sollte man mit Nacken- und Rückenbeschwerden eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen? »Wenn die Probleme über drei bis vier Tage andauern und zunehmen, ist das ein Warnsignal«, so Manke. Dringend zu empfehlen ist der Arzttermin bei Bewegungseinschränkungen oder Schmerzen, die in andere Körperteile ausstrahlen. Bei Lähmungserscheinungen, so Manke, sollte man sich sofort in die Klinik begeben.
Damit es erst gar nicht so weit kommt, müssen wir selbst aktiv werden. Ich für meinen Teil habe mir nach dem Gespräch mit den beiden Experten ein paar bunte Post-its an den Rechner geklebt: »Kopf hoch«, »In den Bauch atmen«, »Gerade sitzen«. Mag simpel klingen – aber es wirkt. Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden: Mein Rücken verlangt nach Bewegung.
Text Katja Hertin
Fotos privat