08.07.2025

Waldbaden: Mehr als ein Wellnesstrend?

Eine Auszeit im Wald verspricht eine heilsame Wirkung für Psyche und Körper. Unsere Autorin wollte genauer wissen, was dahinter steckt, und ist mit einer Waldführerin ins Grüne abgetaucht.

Zur Person

Claudia Müller arbeitet in Hohenkammer bei Freising als zertifizierte Kursleiterin Waldbaden sowie zertifizierte Waldführerin nach Peter Wohllebens Waldakademie. In ihren Kursen hilft sie Menschen, zu sich und zur Natur zu finden. Sie gibt außerdem Vorträge zum Thema und ist Autorin eines Wald- und Wildkräuter-Kochbuchs. Zuvor war sie lange als Versicherungskauffrau tätig.

»Wann warst du das letzte Mal einfach so im Wald, ohne ein Ziel zu verfolgen«, fragt mich Claudia Müller, zertifizierte Kursleiterin für Waldbaden und Waldführerin in Hohenkammer bei Freising. Ihre Frage bringt mich zum Nachdenken – und ich fühle mich ertappt. Als Mensch, der gerne draußen aktiv ist, bin ich oft in der Natur und sei es nur im Park. Aber es stimmt: Meist gehe oder fahre mit dem Rad durch bewaldete Gebiete. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bewusst Zeit im Wald verbracht habe. Vermutlich in Kindertagen, als der Wald ein großer Abenteuerspielplatz war.

Und genau darum geht es beim Waldbaden. Der japanische Begriff dafür, »Shinrin Yoku«, bedeutet übersetzt so viel wie »mit allen Sinnen in die Waldatmosphäre eintauchen«. Durch das bewusste Wahrnehmen lenken wir unseren Fokus auf das Hier und Jetzt.

Und tatsächlich spüre ich fast unmittelbar, nachdem ich aus dem Auto gestiegen bin, wie das grüne Ökosystem auf mich wirkt. Die unglaubliche Ruhe, die es ausstrahlt, macht die stressige Anfahrt über die Autobahn schnell vergessen. Gespannt auf das, was die bevorstehende Auszeit im Wald an weiteren Effekten für mich bereithält, stapfe ich nach einer kurzen theoretischen Einführung mit Waldführerin Müller durchs Unterholz. Obwohl es regnet, erreicht uns fast kein Tropfen. Das Blätterdach hält erstaunlich dicht. In den nächsten zwei Stunden wird es darum gehen, Alltag, Arbeit und Ängste hinter mir zu lassen und mich ganz auf den Moment zu konzentrieren.

Ein Fest für alle Sinne

Ein großer Hebel dafür sind unsere Sinne, die ich mithilfe verschiedener Übungen gezielt aktivieren soll. Zuerst ist die Nase dran: Wir suchen uns Objekte aus der Umgebung und halten sie uns gegenseitig bei geschlossenen Augen unter die Nase. Ich rieche Harz: ein angenehmer Duft mit einer überraschend frischen Note. Ich öffne die Augen – und habe einen Fichtenzapfen unter der Nase. Danach Erde, ein Hauch von Pilzen, Feuchtigkeit – eine Handvoll Humus. Es sind Gerüche, die ich selten zu riechen bekomme – und die auf mich tatsächlich beruhigend wirken.

Ab ins Grüne: Auch Claudia Müllers Hund Beppo fühlt sichtlich wohl
Augen zu und durch: Waldbaden schult alle Sinne
Zum Beispiel den Geruchssinn …
… und den Tastsinn

Zur Person

Dr. Gisela Immich, forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und ist international anerkannte Expertin für präventive und kurative Waldtherapie. Sie ist zudem Gründungsmitglied des Waldkompetenzzentrums für Waldmedizin und Naturtherapie, zertifizierte Forest Therapy Guide (ANFT) und Klimatherapeutin. Sie berät zu den Themen Waldtherapie und Kurortmedizin.

Dass Waldluft so wohltuend wirkt, liegt vor allem daran, dass die Luftqualität deutlich besser ist als in der Stadt, wo wir erhöhten Feinstaub- und Stickstoffbelastungen ausgesetzt sind. Auch im Vergleich zur dünneren Luft in den Bergen ist die Luft im Wald besonders erholsam für die Lungen. Studien aus Japan geben außerdem erste Hinweise darauf, dass auch bestimmte Botenstoffe, die Nadelbäume absenden, um sich über möglichen Schädlingsbefall auszutauschen, positive gesundheitliche Effekte mit sich bringen könnten. Diese sogenannten Terpene, die wir vor allem über die Atmung aufnehmen, steigern möglicherweise die Anzahl unserer natürlich vorhandenen »Killerzellen«. Die Folge: Unser Immunsystem kann gestärkt, Entzündungen gelindert und dadurch das Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes gesenkt werden.

Die Humanbiologin Dr. Gisela Immich forscht am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München seit über zehn Jahren intensiv zum Thema Wald und Gesundheit. Sie bestätigt die Hinweise diverser Studien auf gesundheitliche Effekte, fügt jedoch hinzu: »Die bisherigen Studien zum Thema Waldbaden und Waldtherapie weisen oftmals Einschränkungen in der wissenschaftlichen Evidenz auf.« Die Hinweise darauf, dass Waldbaden nicht nur eine vorübergehende, sondern auch eine langfristige Wirkung haben kann, müssten noch besser erforscht werden. 

Bei meinem Waldexperiment mit Kursleiterin Müller geht es als nächstes um die Augen. Dass der Blick ins Grüne gut für die Sehkraft sein soll, habe ich schon bei der Recherche gelesen. Tatsächlich soll alleine die visuelle Wahrnehmung von grüner Natur entspannende und gesundheitsfördernde Effekte haben. Es ist also auch die Farbe des Waldes, die auf mich so beruhigend wirkt. Müller drückt mir einen Spiegel in die Hand. Ich untersuche damit Pflanzen, Baumstämme und den Waldboden. Das Grün wirkt durch den Spiegel noch einmal viel intensiver. Der Moosboden, auf dem ich stehe, ist weich wie ein Bett. Ich lege mich für einen Moment hin und schließe die Augen.

Der Wald, ein echter Immunbooster

»Schon einmal wöchentlich zwei Stunden im Wald zu verbringen, wirkt nachweislich heilsam auf unsere Psyche«, erklärt Klimatherapeutin Immich. Nach meinem Selbstversuch kann ich bestätigen, dass der achtsame Waldbesuch bei mir positive Emotionen wie Wohlgefühl, Erfrischung, Entspanntheit und Vitalität gefördert hat.

»Was die physiologischen Effekte betrifft, ist die Forschungslage noch nicht belastbar genug«, räumt Immich ein. Dennoch gibt es bereits wichtige Hinweise: Neben der Stärkung unseres Immunsystems können wir durch einen achtsamen Waldbesuch unser Stresslevel und damit auch Puls und Blutdruck senken. Zudem können sich Schlafqualität und Konzentrationsfähigkeit verbessern. Je regelmäßiger wir uns in dieser grünen Ruheoase aufhalten, desto länger halten die Effekte an – so stellt es zumindest Müller fest.

Die wohltuenden Auswirkungen machen sich in Deutschland immer mehr Gesundheitseinrichtungen zunutze. So ist Waldtherapie zwar noch nicht als offizielle Therapieform anerkannt, wird jedoch bereits vielfach begleitend als gesundheitsfördernde Maßnahme eingesetzt – etwa bei chronischer Erschöpfung oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die nächste Übung fällt mir am schwersten: Ich soll mich für drei Minuten an einen Baum setzen, die Augen schließen und einfach nur den Geräuschen des Waldes lauschen. Von meinen bisherigen Meditationsversuchen weiß ich, dass ich dabei nur schwer den Kopf ausschalten und mich nur auf meine Sinneswahrnehmung konzentrieren kann. Ich schließe die Augen und lausche dem beeindruckenden Vogelkonzert. Es gelingt mir auch dieses Mal nicht gänzlich, das Gedankenkarussell in meinem Kopf zu stoppen, aber ich kämpfe nicht dagegen an. Ich lasse es sich langsam weiterdrehen, während ich versuche, die verschiedenen Vogelstimmen auseinanderzuhalten. Das Dröhnen eines Flugzeugs dringt an meine Ohren. Es fühlt sich an wie ein Störgeräusch zwischen all den sanften Waldtönen. Und da in der Ferne, sind das Kühe?

Natur pur: Im Grünen fällt es leicht, Stress und Alltag für kurze Zeit auszublenden

Auf mich wartet noch eine letzte Aufgabe. Mit geschlossenen Augen taste ich einen Baum ab und präge mir seine Oberflächenbeschaffenheit gut ein. Ich habe einen Baum mit dicken Furchen erwischt, die am Stamm entlang laufen. Ganz unten erspüre ich etwas Moos. Nachdem mich Müller ein Stück weggeführt hat und ich die Augen wieder geöffnet habe, muss ich den Baum wiederfinden. Im ersten Augenblick erscheint mir das unmöglich. Doch nach einer kurzen Inspektion der umstehenden Bäume stelle ich fest: Wenn man genau hinsieht, sehen sie tatsächlich alle unterschiedlich aus. So kann ich »meinen« Baum schließlich schnell identifizieren.

Auch den fünften Sinn – den Geschmack – erforschen wir beim Waldbaden. Denn der Wald lässt sich nicht nur sehen, riechen, fühlen und hören, sondern auch schmecken. Immer wieder pflückt Müller ein Blatt oder einen Fichtentrieb ab und reicht ihn mir. Letztere schmecken übrigens überraschend frisch und zitronig.

Kleine Auszeit, große Effekte

Während der zwei Stunden im Wald habe ich jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren. Nach dieser Auszeit erscheint mir der Gedanke, in mein Auto zu steigen und zurück in die Stadt fahren zu müssen, nicht sonderlich verlockend. Damit ich die Entschleunigung und Entspannung nicht direkt wieder verliere, hat Müller mir einen Papierbecher mitgebracht, den ich mit Erinnerungen aus dem Wald – einem Fichtenzapfen und etwas Moos – befüllt habe.

Zurück am Auto pflücke ich mir noch ein paar junge Fichtentriebe für meinen »Waldbecher«. Die werde ich am Abend über meinen Salat streuen, um mir die heilende Kraft des Waldes auf den Teller zu holen. Merklich entspannt trete ich den Nachhauseweg an. In den Wald gehen – das nehme ich mir fest vor – werde ich ab jetzt auf jeden Fall öfter.

Ohren auf: Der Klang des Waldes
Meisterhaft komponiert: Der Wald liefert ein wahres Klangkonzert

Text Katharina Köck
Fotos Oliver Fiegel
Video Oliver Fiegel

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