Alle Aufmerksamkeit liegt aktuell auf Europas besten Fußballerinnen. Wir haben Giulia Gwinn, DFB-Kapitänin und FC Bayern-Spielerin, am FC Bayern-Campus getroffen und über ihre Rolle in der Mannschaft, Rückschläge in der Karriere und Teamgeist gesprochen.
Zur Person

Giulia Gwinn ist eine deutsche Profifußballerin. Seit 2019 spielt sie beim FC Bayern und seit 2017 in der Nationalmannschaft, zu deren Kapitänin sie im Februar ernannt wurde. Sie wurde 2024 für den Ballon d’Or féminin nominiert.

Ihre Autobiografie »Write your own story: Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze« hat es in kürzester Zeit auf die Bestsellerlisten geschafft.
Sie sind seit Februar Kapitänin der Nationalmannschaft. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon erfahren haben?
Ich war im ersten Moment überrumpelt von der Ankündigung. Ich konnte voriges Jahr zweimal interimsweise Kapitänin sein, trotzdem hatte ich damit nicht gerechnet.
Das beschreibt auch der ehemalige Nationaltrainer Horst Hrubesch im Vorwort Ihrer kürzlich erschienenen Autobiografie. Er sagt, dass Sie sich unsicher waren, was es bedeutet, Kapitänin zu sein. Haben Sie es inzwischen herausgefunden?
In den zwei Spielen, in denen ich Kapitänin war, konnte ich mir einen ersten Eindruck verschaffen. Mir ist klar geworden, dass ich mich als Person nicht ändern muss oder möchte, sondern dass ich so bleibe, wie ich bin. Es gibt ja auch einen Grund, warum ich Kapitänin wurde.
Welcher Grund ist das?
Ich habe in den letzten Jahren viel durchlebt. Ich bin erst 25 Jahre alt, aber inzwischen lange Teil der Nationalmannschaft, und ich musste fast zwei Jahre pausieren, wegen meiner Verletzungen. In solchen Phasen reift man als Persönlichkeit. Vor ein paar Jahren hätte mir das noch keiner zugetraut. Aber mittlerweile bin ich selbstsicherer, durfte Erfahrung sammeln und große Turniere spielen. Außerdem kriege ich es gut hin, alle Spielerinnen abzuholen und jeder das Gefühl zu geben, dass sie wichtig ist für das Team.
»Ein Team funktioniert nur gemeinsam«
Ist das für Sie die wichtigste Aufgabe als Kapitänin?
In Wirklichkeit sind es zwei Aspekte. Einmal, dass man es schafft, auf dem Feld den Laden zusammenzuhalten, immer wieder voranzugehen, die Spielerinnen mitzureißen, wenn es nicht läuft. Zweitens ist es vor allem abseits des Platzes wichtig, dass man ein Bindeglied ist. Dass man Spielerinnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein, egal ob sie in der Startelf stehen oder keine Spielminute bekommen. Ein Team funktioniert nur gemeinsam.
Dieser Zusammenhalt ist gerade bei einem großen Turnier wichtig. Wie schaffen Sie es, dieses Gefühl in der Mannschaft zu erzeugen und zu verstärken?
Es ist wichtig, dass jede sich wohlfühlt und so sein kann, wie sie ist. Vor dem Turnier 2022 konnten wir beispielsweise einen besonderen Spirit abseits des Platzes entwickeln, es herrschte eine extreme Harmonie. Das möchte ich in diesem Jahr wieder erreichen, weil das der Hebel ist, damit es auf dem Feld funktioniert. Das gelingt mit Aktivitäten, die alle mit einbinden, nicht nur die Spielerinnen, sondern das gesamte Team.
Auch bei Vereinsmannschaften wie dem FC Bayern, wo wir eine sehr internationale Gruppe sind, ist dieser Wohlfühlaspekt wichtig. Wir schaffen es da erfolgreich, neue Spielerinnen zu integrieren. Man ist weit weg von zu Hause, aber wir erzeugen dieses Gefühl von der zweiten Familie.
»Wir können uns aufeinander verlassen, es herrscht Vertrauen, wir machen uns gegenseitig stärker, egal ob als Spielerinnen oder Personen«
Was bedeutet Zugehörigkeit für Sie persönlich?
Dass man Teil von etwas Größerem ist. Ich weiß noch, als ich mit dem Fußball angefangen habe, war das Allergrößte für mich, dass man es nicht allein macht, sondern gemeinsam. Wir können uns aufeinander verlassen, es herrscht Vertrauen, wir machen uns gegenseitig stärker, egal ob als Spielerinnen oder Personen. Ich glaube, jede Sportlerin oder jeder Sportler, der sich für Fußball entscheidet, für den Teamsport, hat das gleiche Gefühl.
Sie haben vorhin schon die Verletzungen angesprochen, die Sie in Ihrer Karriere hatten. Wie haben Sie es geschafft, diese Rückschläge zu überwinden und weiterzumachen?
Bei einer Verletzung wird man aus dem gewohnten Umfeld herausgerissen, raus aus dem Gemeinschaftsgefühl. Das war zu Beginn eine Herausforderung für mich, weil ich das nicht gewohnt war. Plötzlich arbeitet man Tag für Tag allein. Ich hatte Zeit, in mich selbst zu investieren, nicht nur sportlich, sondern in meine mentale Stärke. Nach einer anfangs schweren Phase habe ich einen Eigenantrieb entwickelt und war motiviert, zurückzukommen. Für mich war es wichtig, Situationen zu akzeptieren und es zu schaffen, den Schalter umzulegen. Das hat nicht von heute auf morgen funktioniert, aber daran bin ich gereift.
In einer Mannschaft gibt es durch die verschiedenen Charaktere und Perspektiven bestimmt auch Meinungsverschiedenheiten. Wie geht man damit um?
Ich finde es positiv, wenn nicht alle der gleichen Meinung sind und nicht jede zu allem Ja und Amen sagt. So kommt man in einen Austausch, in dem alle ihre Sicht der Dinge einbringen können.
In der Vergangenheit sind einige Spielerinnen in der Nationalmannschaft zurückgetreten, die bisher viel Verantwortung übernommen hatten. Dadurch ging nach meinem Gefühl ein Ruck durch die Mannschaft. Jede Einzelne hat sich eingebracht. Oft gibt es Situationen, in denen wir die Dinge ausdiskutieren müssen. Im Endeffekt kommen wir uns einen Schritt entgegen und finden einen gemeinsamen Nenner.
Was kann sich unsere Gesellschaft von einer Fußballmannschaft abschauen?
Beim Fußball kann jede so sein, wie sie ist. Alle werden akzeptiert. Das sieht man zum Beispiel hier beim FC Bayern: Wir kommen aus verschiedenen Ländern zusammen und uns geht es um dieselbe Sache – dass wir gemeinsam Spaß haben und gemeinsam erfolgreich sind. Man bekommt das Gefühl, Fußball ist für alle da. Und das kann sich gerne über den Fußball hinaus auf die Gesellschaft übertragen.
Text Melanie Kiefersauer
Fotos Berli Berlinski