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10.02.2023

»Ob sie am Leben sind, wissen wir nicht«

Die Bilder aus den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien sind nur schwer zu ertragen, die Schätzungen zu den Opferzahlen steigen. Viele Allianz Mitarbeiter:innen in Deutschland trifft die Katastrophe besonders hart, weil sie Angehörige und Freunde in der Region haben. Exemplarisch sprechen hier zwei von ihnen über die Situation in der Türkei, ihre persönliche Betroffenheit und Hilfsbereitschaft, die Mut macht

»Eine Geldspende bewirkt auf jeden Fall etwas«

Zur Person

Serdar Dogan, 40, arbeitet seit 2007 für die Allianz Private Krankenversicherung in Berlin im Referat Controlling.

Herr Dogan, wie geht es Ihren Angehörigen in der Region?
Wir haben einige erreicht, die wohlauf sind. Von anderen haben wir noch keine Rückmeldung. Ob sie unter den Trümmern liegen, ob sie am Leben sind, wissen wir nicht. Wir hoffen, dass es ihnen gut geht.

Mit wem hatten Sie zuletzt Kontakt?
Mit den Eltern meines Schwagers in Hatay. Sie lebten in der vierten Etage eines Wohnhauses, das eingestürzt ist, konnten sich aber aus den Trümmern befreien. Sie fanden ein kleines Loch, schnappten sich die Kinder und kletterten irgendwie hinaus. Dann standen sie plötzlich wohnungslos auf der Straße, nur mit den Sachen, die sie greifbar hatten, in Pyjamas, bei diesen Temperaturen.

Was wissen Sie über die Situation in der Stadt?
Hatay ist schwer betroffen und auch die wenigen Zufahrtsstraßen sind stark beschädigt. Niemand darf mehr in die Gebäude hinein, die noch stehen. Meine Verwandten haben etwas Bargeld gerettet, können sich aber nichts dafür kaufen. Die Geschäfte sind geschlossen oder zerstört. Die Lage ist schlimm. Sobald sie aus der Stadt rauskönnen, wollen sie bei Freunden unterkommen, die im mittleren Teil der Türkei leben und sie aufnehmen.

Wann haben Sie von dem Erdbeben erfahren?
Durch eine WhatsApp-Nachricht meines Onkels am Montagmorgen. Danach haben wir das ganze Ausmaß aus den Medien erfahren und versucht, unsere Verwandten zu kontaktieren. Viele haben wir nicht erreicht, aber nach und nach kamen die Botschaften an, dass es den meisten gut geht, dass sie in Autos oder Zelten ausharren.

Was können Sie aus der Ferne unternehmen?
Ich habe einen Wagen voll Sachspenden bei den Maltesern abgegeben, in meinem Wohnort, Geseke in Nordrhein-Westfalen. Und ich habe einen größeren Betrag gespendet. Es gibt auch eine interne Aktion der Allianz, dort habe ich zusätzlich gespendet. Mehr kann ich im Moment leider nicht tun.

Wie können andere helfen?
Ich glaube, dass es sehr viele Sachspenden gibt, aber dass es derzeit schwierig ist, sie in die Region zu transportieren, weil auch die Infrastruktur und die Autobahnen kaputt sind. Eine Geldspende bewirkt auf jeden Fall etwas, das ist auch längerfristig sinnvoll. Ich bezweifle, dass der Wiederaufbau einer ganzen Region in einem Jahr zu schaffen ist.

»Wenige Meter weiter ist alles eingestürzt«

Herr Yazici, Sie haben Familie in Gaziantep, wie geht es Ihren Angehörigen?
Bis jetzt haben wir noch nicht alle erreicht. Aber von circa 80 Prozent wissen wir, dass es ihnen gut geht. Zumindest haben wir keinen Todesfall zu beklagen. Das ist im erweiterten Freundeskreis leider anders.

Mit wem hatten Sie zuletzt Kontakt?
Mit dem Schwager und der Mutter meiner Frau.

Wie ist die Situation vor Ort?
Ich kann das kaum mit Worten beschreiben, es ist einfach schrecklich. Gaziantep ist eine riesige Stadt mit mehr als zwei Millionen Einwohnern. Und die meisten leben gerade auf der Straße, denn es gab dort zwei Erdbeben und Dutzende Nachbeben. Es herrscht eine Mischung aus Angst und Unsicherheit. Niemand kann in seine Wohnung zurückkehren, das Risiko wäre viel zu groß.

Wie gehen Ihre Angehörigen damit um?
Einige meiner Verwandten haben alles zurückgelassen und sind 350 Kilometer weit weg gefahren, nach Bismil, wo sie einen sicheren Platz bei Angehörigen gefunden haben. Es ist völlig unklar, wann sie wieder zurückkehren. Es kann Wochen dauern, Monate oder Jahre, bis die Gebäude begutachtet oder wieder aufgebaut sind. Die Mutter meiner Frau zum Beispiel ist 72 Jahre alt. Sie hätte nicht in einem Zelt, im Auto oder an einer Bushaltestelle schlafen können bei Minus drei Grad Kälte.

Wie hat Ihre Schwiegermutter das Erdbeben erlebt?
Ihre Wohnung ist zum Glück nicht eingestürzt, aber der Beton hat Risse, die Fundamente sind beschädigt, die Wände stehen schräg. So geht es den meisten, die ich kenne. Zum Glück, muss man sagen. Meine Tante hat eine Eigentumswohnung in einem sechs- oder siebenstöckigen Gebäude… Wenige Meter weiter in ihrer Straße ist alles eingestürzt. Es ist eine Glückssache. Aber selbst für nicht direkt Betroffene ist es eine Katastrophe: Man hört Schreie, viele Menschen sind verzweifelt oder versuchen Leben zu retten.

Wie haben Sie von dem Erdbeben erfahren?
Ich bin am Montag früh aufgewacht. Es war noch nicht fünf Uhr, da sah ich schon die ersten Meldungen im Internet. Für mich hörte sich das sofort sehr bedrohlich an, denn ein Beben mit Stärke 7,7 bis 7,8 ist ernst. Ich habe meine Frau geweckt und wir haben ihre Mutter angerufen, die zu dieser Zeit schon draußen stand. Es war nicht einfach, sie zu erreichen, die Handynetze waren überlastet, Mobilfunkmasten zerstört. Auch heute sollte man nur im Notfall anrufen. Wir haben mehrere Stunden gebraucht, um herauszufinden, ob unsere Angehörigen überlebt haben. Und es gab auch kein sauberes Wasser, kein Essen, Geschäfte wurden geplündert – auf einen Schlag war alles zusammengebrochen.

Wie geht es Ihnen mit alldem?
Ich kann von hier aus leider nicht viel machen, außer mit Geld zu helfen. Mein Schwager zum Beispiel wird wahrscheinlich monatelang keine Einnahmen mehr haben. Er ist selbstständig und handelt mit Lebensmitteln, vor allem mit Pistazien und Haselnüssen. Er und seine Frau haben drei Kinder. 25 Jahren lang war er in Gaziantep bestens vernetzt, in Bismil wird es schwierig für ihn.

Was wünschen Sie sich von Ihren Kolleg:innen?
Etwas Nachsicht, wenn ich zur Zeit manchmal etwas unkonzentriert bin. Das Ganze ist psychisch schon sehr belastend. Aber ich finde die Spendenaktion der Allianz super. Wer die als Kollegin oder Kollege unterstützt, hilft gerade am meisten. Deswegen noch einmal ein großes Dankeschön an die Allianz! Es macht mich wirklich stolz, Teil dieses Unternehmens zu sein.

Zur Person

Serdal Yazici, 36, arbeitete von 2018 bis 2021 als Sachbearbeiter für die Allianz Autoversicherung in Köln, seit 2021 für die ADAC Autoversicherung.

Text   Theresa Atzl, Niclas Müller
Fotos  imago/Depo, privat 

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