24.10.2022

»Der Eisbär ist noch zu retten«

Wie sollten Eltern mit Kindern über den Klimawandel sprechen? Indem sie ehrlich sind und Hoffnung vermitteln, sagt Umweltexpertin Heike Müller. Ein Gespräch über Schneemänner, Fahrräder und Spielzeug. Plus: Im Video erklären Kinder, was sie bereits über das Thema wissen

Zur Person

Heike Müller ist Referentin für »Bildung für nachhaltige Entwicklung« in der bundesweit agierenden Stiftung »Haus der kleinen Forscher« aus Berlin. Dort entwickelt die Umweltingenieurin Fortbildungen und Arbeitsmaterialien für pädagogische Fachkräfte, die Kinder von 3 bis 10 Jahren beim Lernen begleiten. 

Sehen Sie im Video: Kinder von Allianz Mitarbeiter:innen erklären den Klimawandel

Hagel? Wirbelsturm? CO2-Fußabdruck? Was Kinder von Allianz Mitarbeiter:innen über Wetter und Klima wissen, erfahren Sie im Video.

Frau Müller, mein neunjähriger Sohn hat mir kürzlich einen schweren Vorwurf gemacht. Er hat gesagt: »Wenn ihr Erwachsenen weiter Auto fahrt, dann sterben alle Eisbären.« Wie begegnet man solchen Kindersorgen altersgerecht?

Zunächst einmal sollten Sie abklopfen, was das Kind sich unter den Dingen vorstellt. So bekommen Sie ein Gefühl dafür, was es schon verstanden hat und was nicht. Stellen Sie ruhig Gegenfragen. Ich hätte gesagt: »Das ist ja interessant. Wie kommst du darauf, dass alle Eisbären sterben?« Und schon sind Sie im Gespräch.

Gibt es Themen, die man besser meidet, um Kinder nicht zu überfordern? Zum Beispiel, was Kohlenstoffdioxid ist.

Kinder verstehen meist auch abstrakte Dinge wie ein Gas, das unsichtbar ist. Beim Erklären sollte man darauf achten, dass man altersangemessene Begriffe verwendet. Den Treibhauseffekt könnte man Schulkindern so erklären: Die Sonne schickt ihre Strahlen zu uns auf die Erde. Dort werden sie in Wärme umgewandelt. Ein Teil davon geht zurück ins Weltall. Aber wir erzeugen immer mehr Kohlendioxid: Das ist ein Gas, das beim Autofahren oder Heizen entsteht. Je mehr davon in der Luft ist, desto mehr Wärme bleibt in der Hülle, die die Erde umgibt. Es wird wärmer, das Eis an den Polen schmilzt – und die Eisbären finden kein Futter mehr.

Und wie sieht es mit kleineren Kindern aus? 

Eine anschaulichere Erklärung wäre: Der Erde ist ganz heiß. Das liegt daran, dass ein unsichtbarer Stoff unsere Erde umhüllt. Er wird immer mehr, weil wir Menschen ganz viel davon erzeugen. Du kannst ihn dir wie einen Pullover vorstellen. Und stell dir vor, wenn du viele Pullis anziehst, dann wird dir richtig warm. Der Erde geht es genauso. Deshalb schmilzt sogar am Nordpol das Eis und deshalb finden die Eisbären dort kein Futter mehr.

Ist es nicht besser, Kinder vor solch deprimierenden Themen zu schützen? 

Von selbst würde ich den Klimawandel nicht ansprechen. Aber wir können Kinder nicht in Watte packen. Früher oder später bekommen sie es mit. Und dann ist es gut, wenn Eltern auf das Thema vorbereitet sind. Wo hat Ihr Sohn das Thema aufgeschnappt?

Bei den Kindernachrichten im Fernsehen.

Da haben wir es. Und wenn es nicht das Fernsehen ist, dann ist es der Opa, der jammert: »Damals hat es noch richtig geschneit. Da konnten wir fast jeden Winter einen Schneemann bauen.«

Ob es um den Schneemann oder die Eisbären geht – am Ende muss man zugeben: Wir Erwachsenen sind schuld an der Klimakrise. Wie erkläre ich das meinem Kind?

Geben Sie es zu: Ja, wir Erwachsenen sind schuld. Aber wir können den Kindern zeigen, dass die Menschen die Kraft haben, Probleme zu lösen. Jeder kann etwas tun, damit Eisbären nicht sterben müssen. 

Wie kann das konkret funktionieren? Sollen wir ab heute alle zur Arbeit radeln? 

Zum Beispiel. Wenn mehr Menschen mit dem Rad fahren, würde das den CO2-Ausstoß reduzieren. Jeder kann im Alltag etwas verändern – auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Eltern sollten Vorbild sein, indem sie etwa das Auto so oft wie möglich in der Garage lassen. 

Für viele Menschen ist das nicht gerade der bequemste Weg… 

Kennen Sie noch den alten Spruch aus der Umweltbewegung? Vor mehr als 40 Jahren hat man schon gesagt: »Alle wollen zurück zur Natur. Nur keiner zu Fuß.«

Ist das nicht bloß Aktionismus? Immerhin ist die Klimakrise ein globales Problem, das nicht mehr aufzuhalten ist. Da können wir alle noch so sehr in die Pedale treten.

Wenn Sie so fragen, dann stecken Sie den Kopf in den Sand und geben auf. Ich sage Ihnen: Jedes Kind kann etwas bewirken. Darum geht es bei unserer Stiftung »Haus der kleinen Forscher«. Kinder sollen erleben, was gerade mit dem Klima passiert. Gleichzeitig möchten wir die Kinder motivieren, aus diesem Wissen Handlungsstrategien abzuleiten. Sie lernen, dass das Klimagas beim Heizen entsteht. Okay, dann drehen wir mal  in der Kita oder Schule die Heizung runter und reden mit unseren Eltern, ob wir das nicht auch zu Hause tun können.

Gemeinsame Lösungen finden: Auch Kinder können etwas tun, um den Klimawandel zu verlangsamen
Lieber reparieren, statt wegwerfen: Schon in der Kita können die Kinder einen nachhaltigeren Umgang mit Spielsachen erlernen

Gibt es auch Dinge, die Kinder selbst tun können, ohne auf die Hilfe der Eltern angewiesen zu sein?

Absolut. Ein Thema ist zum Beispiel die Nachhaltigkeit von Spielsachen. Im »Haus der Kleinen Forscher« leiten wir Pädagog:innen an, wie sie mit den Kindern in der Kita Spielzeug reparieren können, statt es wegzuwerfen. Das ist umweltfreundlicher und die Spielsachen bekommen gleichzeitig eine viel höhere Wertigkeit.

Glauben Sie umgekehrt, dass Kinder auch bei Erwachsenen ein Umdenken bewirken können?

Aber sicher. Wir haben im Jahr 2006 unsere Fortbildungsinitiative gestartet, um eigentlich kleineren Kindern MINT-Themen schmackhafter zu machen. Seit der Fridays-for-Future-Bewegung merken wir, dass die Nachfrage für Workshops zu nachhaltigen Themen sprunghaft gestiegen ist. Pädagoginnen und Pädagogen haben uns klar gesagt, dass sie der Protest der Jugendlichen zu einem Umdenken bewegt hat. Das finde ich beeindruckend.

Also ist der Eisbär noch zu retten.

Das glaube ich fest. Die Menschheit hat es doch schon einmal geschafft, ein globales Umweltproblem gemeinsam zu lösen: Wir haben das Ozonloch geschlossen, weil wir das Treibhausgas FCKW in Produkten abgeschafft haben. Wir müssen nur geduldig und hartnäckig bleiben.


Text Sonja Hoogendoorn
Foto Christoph Wehrer, iStock / jonathanfilskov photography

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