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13.09.2022

Ihrer Zeit voraus: Die Auerberg Klassik Rallye

Dass PS-Veranstaltungen nicht riesengroß und klimaschädlich sein müssen, beweist die Auerberg Klassik in Bayern. Bei der Oldtimer-Rallye starten historische Fahrzeuge bis Baujahr 1979. Aber statt Benzin und Diesel haben sie einen zukunftsträchtigen Kraftstoff im Tank

Das kleine Dorf Bernbeuren in Oberbayern scheint an diesem Wochenende im September wie aus der Zeit gefallen. Da rollen Motorräder aus den 20er-Jahren durch die Straßen, und der Dorfplatz ist bevölkert mit Menschen in Paillettenkleidern oder gelben Schlaghosen. Historische Fahrzeuge und Vintagemode? Klingt ziemlich altmodisch. Doch die Auerberg Klassik ist nicht von gestern. Im Gegenteil, die traditionsreiche Oldtimer-Rallye ist ihrer Zeit sogar voraus.

Denn die Auerberg Klassik ist die erste Motorsportveranstaltung Deutschlands, die auf klimaneutrale E-Fuels setzt. Dabei handelt es sich um synthetisch hergestelltes Rennbenzin, das im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen bis zu 90 Prozent weniger CO2 verursacht. 

»Das ist unser Beitrag, Motorsportveranstaltungen nachhaltiger zu machen«

Teilnehmer Enrico Pauli

Dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Schlagwort, sondern bei der Auerberg Klassik gelebte Realität ist, zeigt die große Nachfrage nach dem synthetischen Kraftstoff: Ein Drittel der 215 Teilnehmer entscheidet sich für das neue E-Fuel und nimmt jeweils 10 Liter des klimafreundlichen Brennstoffs ab. Auf eigene Kosten, und obwohl sie für die gerade mal 3,2 Kilometer lange Rallyestrecke weitaus weniger brauchen. Ungefähr 5 Euro kostet der Liter und ist damit fast doppelt so teuer wie Benzin und Diesel.

Auch Enrico Pauli betankt sein BSA-Motorrad aus dem Jahr 1959 mit dem neuen Sprit. »Das ist unser Beitrag, Motorsportveranstaltungen nachhaltiger zu machen«, sagt der 1982 geborene Teilnehmer, der in Dachau die Motorradwerkstatt »Loose Screw« betreibt. »Nur so bleiben Events wie der Auerberg auch künftig relevant. Die Veranstalter der Klassik sind Vorreiter in Sachen Motorsportevents und daher unterstütze ich sie gern.« 

Sehen Sie im Video: Nostalgisch in die Zukunft – das war die Auerberg Klassik 2022

Vorreiter und einer von insgesamt fünf Veranstaltern der Auerberg Klassik ist Hermann Köpf. Der 52-Jährige stammt aus Bernbeuren, und er war es auch, der die Auerberg Klassik 2017 nach mehr als 30 Jahren Pause wieder aufleben ließ. Bereits von 1967 bis 1987 fand die Klassik mit insgesamt 21 Wertungsläufen für Autos und Motorräder am Auerberg statt. »Bei der Neuauflage wollten wir etwas Besonderes machen«, sagt Köpf, »die Rallye sollte nicht nur für passionierte Motorsportfans sein, sondern ein Motor für die gesamte Region.« Die Mischung macht den Charme der Veranstaltung aus: lokale Fahrer aus der Gegend neben Oldtimerfans aus Deutschland und aller Welt.

Bei der Auerberg Klassik geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Gleichmäßigkeit. Das bedeutet: Am Auerberg gewinnt nicht der schnellste Fahrer, sondern derjenige, der es schafft, die drei Wertungsläufe in einer ähnlichen Zeit zu fahren. Die Differenzen zwischen den gefahrenen Zeiten der Wertungsläufe werden addiert – der Fahrer mit der geringsten Differenz gewinnt. Solche Gleichmäßigkeitsläufe sind im Oldtimersport weit verbreitet, weil sie PS-unabhängige Chancengleichheit garantieren. So können alle Fahrzeuge aus den verschiedensten Jahrzehnten miteinander konkurrieren. Gestartet wird in sechs Fahrzeugklassen, die epochenweise geordnet sind. Nur die Gespanne, also jene Fahrzeuge mit Beiwagen, bilden eine extra Gruppe.

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Fahrzeuge und Fahrgefühle
Credit: iStock / VPanteon

Mehr als 300 Motorsportler wollten in diesem Jahr dabei sein und bewarben sich um eine Startnummer. Ein Komitee wählte insgesamt 215 Fahrerinnen und Fahrer aus, die an den zwei Tagen an den Start gehen dürfen. Das jüngste Fahrzeug stammt von 1979, eine Kawasaki Z 500. Das älteste ist eine Triumph Sport 550, Baujahr 1922. In Bernbeuren treffen Generationen aufeinander. Der älteste Fahrer ist 88, der jüngste 23. Doch hier gehört nichts und niemand zum alten Eisen. Die Stimmung: familiär.

Das zeigen auch Leonie und Franz Barnsteiner mit der Startnummer 208. Der pensionierte Berufsschullehrer und seine 24-jährige Tochter sind ein eingespieltes Team. Seit sieben Jahren fahren sie gemeinsam Rennen in ihrem Gespann von Haller-BMW aus dem Jahr 1975. Er hinterm Steuer, sie im Beiwagen. 

Der erste Rallyetag am Samstag startet für Leonie und Franz feucht-fröhlich. Zur Fahrerbesprechung um 9 Uhr: Regen. Beim ersten gemeinsamen Besichtigungslauf der 3,2 Kilometer langen Strecke: Regen. Beim Trainingslauf: Regen. 

Noch bevor es an den Start geht, zieht Franz Barnsteiner eine durchwachsene Bilanz. »Die Strecke ist ziemlich rutschig und die Übersetzung unseres Motorrads zu kurz«, sagt er, »wir kommen nicht auf unsere Höchstgeschwindigkeit.« Trotzdem ist die Laune gut, denn alle sind sich einig: Heute zählen nicht PS und Geschwindigkeit, sondern es geht darum, sicher oben am Auerberg anzukommen. Dafür hilft jeder jedem. Hier wird ein bockendes Fahrzeug angeschoben, dort noch schnell etwas repariert. Gemeinschaftsgefühl statt Konkurrenzdenken. 

Klicken Sie durch die Bildergalerie: Ein Dorf im
Rallye-Ausnahmezustand

Während die Fahrerinnen und Fahrer an ihren Maschinen schrauben, verwandelt sich der Dorfkern von Bernbeuren in ein Festivalgelände. Einheimische und Besucher lassen sich vom regnerischen Wetter nicht abhalten. Obwohl die Auerberg Klassik mit bis zu 10.000 Zuschauern als Großveranstaltung gilt, hat das Dorf alles fest im Griff. Einwohner und Vereine: Alle helfen mit. Der örtliche Trachtenverein organisiert zum Beispiel Süßes. 124 Kuchen haben die Dorfbewohner und -bewohnerinnen für das Wochenende gebacken. Das Gebäck gibt es auf Porzellantellern, Kaffee aus echten Tassen und Getränke in Glasflaschen, auf die es fünf Euro Pfand gibt. 25 Helfer sind allein beim Kuchenstand im Einsatz. Michaela Steiger und Waltraud Sprenzel sind zwei davon, und sie begrüßen die Motorradfahrer und das begeisterte Publikum. »Trachten sehen wir ja sonst genug, Motorräder und die Lederkluft sind für uns eine willkommene Abwechslung.« Genauso wie der Trachtenverein hat auch die Auerberg Klassik eine lange Tradition. Waltraud Sprenzel erinnert sich gern zurück: »Ich habe schon vor Jahrzehnten bei dieser Motorsportveranstaltung ausgeholfen, da war ich gerade erst mit der Schule fertig. Das Auerberg-Wochenende war schon immer ein Ausnahmezustand.«

»Diese Wegwerfmentalität, dass alles neu sein muss, verstehe ich nicht. Ich kann alles selbst reparieren«

Teilnehmer Franz Barnsteiner

Inzwischen ist der erste Tag zu Ende und im Fahrerlager am Sportplatz von Bernbeuren wird angestoßen. »Traditionell müsste ich als Beifahrerin eigentlich das Gespann reparieren«, sagt Leonie Barnsteiner, »denn früher waren die für alle Reparaturen zuständig. Deswegen nannte man sie auch ›Schmiermaxl‹«. Diese Zeiten haben sich jedoch geändert. Und während Leonie die Stimmung im Fahrerlager genießt, schraubt ihr Vater Franz unermüdlich am Motorrad. Sogar seinen Renn-Lederanzug hat er noch an, während die anderen schon in Jeans und Turnschuhen feiern. »Das Gespann geht vor«, sagt Franz und beugt sich wieder zur Maschine hinunter. Innerhalb von 30 Minuten hat er das Hinterachsgetriebe ausgewechselt. Jetzt ist das Fahrzeug für den Finaltag gerüstet. »Diese Wegwerfmentalität, dass alles neu sein muss, verstehe ich nicht. Ich kann alles selbst reparieren,« sagt Franz, »und das ist am Ende viel nachhaltiger, als sich alle zwei Jahre ein neues Motorrad zu kaufen.«

Der zweite Tag beginnt wie der erste – regnerisch, aber mit guter Laune. Im Abstand von jeweils 30 Sekunden starten die 215 Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu ihrem zweiten Wertungslauf. Ob Leonie und Franz für diesen Tag eine neue Strategie wählen, um möglichst gleichmäßig zu fahren? »Wir konzentrieren uns nicht auf den Tacho oder zählen Sekunden. Wir passen unseren Fahrstil den äußeren Umständen an und geben unser Bestes!«

Ein Fahrzeug nach dem anderen schraubt sich die Straße auf den Auerberg hinauf. Und noch während sie ihre Mittagspause auf dem Berg genießen, kommt unmittelbar vor dem dritten und finalen Wertungslauf dann endlich der große Durchbruch: Die Wolken reißen auf und geben den Blick auf einen weiß-blauen Himmel über Bayern frei. Auch die Fahrbahn ist endlich trocken. Vom Applaus der Zuschauer beflügelt, genießen Leonie und Franz die perfekten Bedingungen und fliegen geradezu über den Asphalt. 

Leonie und Franz schaffen es an diesem Wochenende nicht aufs Treppchen. Bergkönig wird Josef Traubinger mit einer Standard Gutbrod, Baujahr 1932, der alle Wertungsläufe mit einer Zeitdifferenz von lediglich 2,11 Sekunden absolviert. Aber das große Finale am Auerberg ist eigentlich auch nicht die Siegerehrung, sondern die Parade aller Teilnehmer durch das Dorfzentrum. Vom Dorfplatz schlängelt sich das  »rollende Museum« durch die engen Gassen von Bernbeuren zurück ins Fahrerlager – aber eben auch irgendwie zurück in die Zukunft. 


Text
Lea Rieck
Fotos Sebastian Krawczyk
Video Max-Martin Bayer, Sven Dittgen

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