Die Folgen des Klimawandels sind messbar und werden extrem. Darüber sind sich Matthias Hackl und Bastian Manz von der Allianz Re einig. Im Interview sprechen die beiden Wissenschaftler über eindeutige Daten, schockierende Erlebnisse – und haben doch eine gute Botschaft: Noch ist es nicht zu spät
Zur Person
Matthias Hackl, geboren 1980, ist Geophysiker und arbeitet seit 2013 für die Allianz Re. Beim Rückversicherer der Allianz Gruppe kümmerte er sich zunächst um die Bewertung von Erdbebenrisiken. Derzeit leitet er das Team Catastrophe Research and Development, das unter anderem physikalische Klimarisiken wie Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände einzuschätzen hilft.
Zur Person
Bastian Manz, Jahrgang 1989, ist Hydrologe und arbeitet seit 2019 für die Allianz Re. Im Research and Development Team befasst er sich unter anderem mit der Frage, welche Folgen der Klimawandel hat und wie sich die Erderwärmung weltweit auf die Häufigkeit von Naturkatastrophen auswirkt. Er hat in London promoviert.
Herr Hackl, Herr Manz, ist unser Planet überhaupt noch zu retten?
Manz: Ganz klar: ja! Aber klar ist auch, dass sich das Zeitfenster dafür sehr schnell schließt – bis 2030 müssen wir die Emissionen halbieren, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Gefühlt treten Waldbrände, Gletscherabbrüche und Überschwemmungen häufiger auf als früher. Sagen Ihre Analysen das Gleiche?
Manz: Ja, die Daten belegen das. Aber man muss auch differenzieren. Auf der einen Seite gibt es immer mehr größere Naturereignisse, wie die Flut im vergangenen Sommer oder auch den Hurrikan »Harvey« 2017 in den USA. Solche Ereignisse sind jetzt häufiger als vor der industriellen Revolution. Auch die Schäden durch Hochwasser, Starkregen oder Hagel werden immer größer. Das liegt aber sehr stark auch daran, dass immer mehr Menschen in die Städte und Hochrisikogebiete wie Flussläufe und Küsten ziehen. Es gibt auch viel mehr Vermögenswerte als früher – und somit auch ein höheres Schadenpotenzial. Ganz unabhängig vom Klimawandel.
Welche Instrumente nutzen Sie bei der Allianz Re, um die Entwicklung einzuschätzen?
Hackl: Wir haben ein Expertenteam, das für die verschiedenen Naturgefahren zuständig ist – also Überschwemmungen, Stürme, auch Waldbrände.
Manz: Dieses Team arbeitet intensiv daran, globale Gefahrenkarten zu erstellen. Dazu kommen sogenannte Cat-Modelle (Anm. d. Red.: Cat ist die Abkürzung für Catastrophe), mit denen wir auch seltenere Ereignisse untersuchen können. Aktuell arbeiten wir daran, diese Instrumente an verschiedene Klimawandelszenarien anzupassen.
»Wenn wir als Gesellschaft begreifen, dass wir uns verändern müssen, dann können wir auch etwas bewegen«
Bastian Manz
Müssen wir uns in Deutschland an extreme Wetterereignisse gewöhnen?
Manz: Durch die Erderwärmung gibt es mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre, dadurch erhöht sich das Risiko von Starkregen und Hochwasser. Hier ist sich die Wissenschaft ziemlich einig. Was Phänomene wie Tornados betrifft, ist es schwieriger. Denn die gab es auch früher schon in Deutschland und Mitteleuropa, nur eben nicht immer in urbanen Räumen.
Allein die sich häufenden Starkregen-Ereignisse können ja verheerend genug sein.
Manz: Man muss sich an klimatische Verhältnisse, die nicht mehr zu ändern sind, anpassen. Unsere Katastrophenvorsorge beeinflusst erheblich, wie groß Schäden ausfallen. Ein großes Problem ist die Versiegelung der Landschaft, denn dadurch kann das Regenwasser nicht mehr abfließen. Dabei gibt es große Flächen, die nicht versiegelt sein müssten, zum Beispiel Parkplätze oder Gärten. In der Landwirtschaft gibt es zwar weniger Versiegelung, aber doch oft eine hohe Verdichtung der Böden, wo Regenwasser ebenfalls nicht gut versickern kann.
Was macht Ihnen momentan am meisten Sorge, wenn Sie die Klimadaten betrachten?
Manz: Wir arbeiten ja täglich mit den Statistiken, deshalb sind wir etwas abgehärtet. Was mich aber schockiert hat, war die Hitzewelle in Nordamerika im vorigen Sommer. Obwohl wir darüber mit den Klimamodellen gute Aussagen treffen können, haben Experten das so nicht erwartet.
Und bis 2030 ist ja nicht mehr viel Zeit.
Manz: Das stimmt, aber einiges lässt mich auch hoffen. Es gibt viel mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit als früher. Das geht von »Fridays for Future« über die Politik bis hin zur Wirtschaft, die sich zu Null-Emissions-Zielen verpflichtet. Wenn wir als Gesellschaft begreifen, dass wir uns verändern müssen, dann können wir auch etwas bewegen.
Hackl: Es gibt keine Alternative zu nachhaltigem Wirtschaften, damit unser Planet für uns so gut bewohnbar bleibt, wie wir das gewohnt sind. Diese Einsicht hat sich mittlerweile fast überall auf der Welt durchgesetzt. Das Tempo könnte höher sein, aber die Richtung stimmt. Und das kann uns hoffen lassen.
»Die Wahrscheinlichkeit für ein neues Ereignis sinkt nicht dadurch, dass kürzlich eines eintrat«
Matthias Hackl
Im Sommer 2021 haben bei der Flut im Ahrtal mehr als 180 Menschen ihr Leben verloren und es entstand ein versicherter Sachschaden von 8,5 Milliarden Euro. War das die Jahrhundert-Katastrophe, als die sie oft betitelt wurde?
Manz: Was das menschliche Leid betrifft wie auch den Schaden war es sicherlich das größte Ereignis bisher. Der Begriff »Jahrhundert-Katastrophe« ist aber problematisch, weil er impliziert, dass wir so etwas nur alle 100 Jahre erleben. Es gab aber auch schon 2013 oder 2002 »Jahrhundert-Katastrophen«. Solche Begriffe lassen die Menschen abstumpfen. Im Ahrtal gab es 1804 und 1910 ähnliche Ereignisse, daraus könnte man schließen, dass es alle 100 Jahre passiert. Aber genauso gut könnte es auch nächstes Jahr wieder geschehen.
Hackl: Nach unseren Modellen entsteht ein vergleichbarer ökonomischer Schaden durch ein Hochwasser in Deutschland öfter als einmal in 100 Jahren. Und Überschwemmungen können überall auftreten, nicht nur im Ahrtal. Theoretisch sind noch deutlich gravierendere Ereignisse möglich, und sie haben auch schon stattgefunden. Das Magdalenenhochwasser im Juli 1342 war ungleich größer, allein an der Donau kamen bis zu 6000 Menschen ums Leben. Eine Wiederholung davon würde alles in den Schatten stellen, was im vorigen Sommer passierte. Die Wahrscheinlichkeit für ein neues Ereignis sinkt nicht dadurch, dass kürzlich eines eintrat. Wir haben jedes Jahr wieder die gleiche Wahrscheinlichkeit von zum Beispiel 1 in 50. Und da sich das Klima ändert, kann es sein, dass daraus bald auch ein 1 in 40 oder sogar ein 1 in 30 wird. Nach allem, was wir wissen, wird diese Art von Ereignissen wahrscheinlicher. Oder sie ist es bereits.
Was kann man tun, um die Gefahr zu verringern?
Manz: Die beste und langfristig auch günstigste Prävention ist tatsächlich die Begrenzung des Klimawandels, die Reduktion von Emissionen. Ansonsten kann man strukturelle Maßnahmen ergreifen, etwa die Kellerräume abdichten oder Druckfenster einbauen. Ebenso wichtig ist, dass auch funktionierende Frühwarnsysteme und Aktionspläne entwickelt werden. Damit die Menschen wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wenn die Flut kommt.
Die Allianz setzt stark auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Was heißt das bei einer Versicherung eigentlich?
Hackl: Nun, wir haben Bürogebäude, machen Geschäftsreisen, jeder Mitarbeiter verursacht durch seine Tätigkeit einen CO2-Abdruck. Und der wird komplett kompensiert. Und die Allianz will, was sie an Energie verbraucht, nachhaltig produzieren oder einkaufen. Bis 2050 investieren wir nicht mehr in Firmen, die nicht CO2-neutral sind. Zum Beispiel haben wir uns schon aus der Versicherung für Kohlekraftwerke zurückgezogen. Solche besonders klimaschädlichen Industrien bekommen keinen Versicherungsschutz mehr.
»Ich kann jedem Klimawandel-Leugner nur sagen, dass er sich auf eine sehr gefährliche Wette einlässt«
Matthias Hackl
Die Allianz Re ist ja als Rückversicherer besonders stark von Naturkatastrophen betroffen. Sind es egoistische Motive, die die Allianz zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit werden lassen?
Hackl: Was sicher richtig ist: Jeder Schaden, der nicht eintritt, ist wirtschaftlich gut für eine Versicherung und gut für ihre Kundinnen und Kunden. Denn die Versicherungsprämie reflektiert das Schadenrisiko und somit auch den Fortschritt des Klimawandels. Bei Naturkatastrophen und anderen Großschadenereignissen kommt noch hinzu, dass jeder ausgebliebene Schaden zusätzlich auch für die Gesellschaft gut ist. Insofern ist es nicht egoistisch, sondern absolut notwendig und im Interesse aller Menschen, den Klimawandel und seine Folgen einzudämmen.
Wie können Sie jemanden zum Nachdenken bringen, der den menschengemachten Klimawandel abstreitet?
Manz: Man kann nur immer wieder sagen, was der IPCC, der Weltklimarat, seit Jahren klar belegt: Der Klimawandel ist real und menschengemacht. Ich kenne kein globales Problem, bei dem sich so viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einig sind. Der Klimawandel mag für uns heute noch relativ abstrakt sein, aber wenn alles eintritt, was vorhergesagt wird, dann stehen unsere Kinder und Enkelkinder 2050 vor Herausforderungen, dagegen ist die aktuelle Krise nichts.
Hackl: Ich kann jedem Leugner nur sagen, dass er sich auf eine sehr gefährliche Wette einlässt. Denn wenn wir weiter abwarten, dann kann es gut sein, dass in ein paar Generationen auf diesem Planeten unser Leben, so wie wir es gewohnt sind, nicht mehr möglich sein wird. Dann würden sich die Klimazonen sehr stark verschieben, die Wüstenbildungen deutlich zunehmen, und das alles würde sehr schnell passieren. So schnell, dass niemand weiß, wie sich Flora und Fauna anpassen werden.
Wann haben Sie erstmals begriffen, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist?
Manz: Der Hurrikan »Katrina« 2005 war so ein Ereignis. Gerade in einem Land wie den USA, wo man – wie bei uns – glaubte, dass man vor der Natur geschützt und sicher lebt. Und dann versinken ganze Stadtteile und werden über Jahre quasi strukturell abgehängt.
Hackl: Für mich wurde der Klimawandel greifbar auf dem Schneeferner, einem der wenigen Gletscher in Deutschland. Als Student war ich während eines Praktikums dort und führte Messungen durch, wie dick der Gletscher ist. Und dabei wurde sehr, sehr deutlich, dass der immer schneller abschmilzt.
Nachdem wir viel über Daten und globale Probleme gesprochen haben, zum Schluss etwas aus dem Nahbereich: Was kann jeder und jede Einzelne zum Klimaschutz beitragen?
Hackl: Es gibt viele Möglichkeiten, unseren CO2-Fußabdruck zu verkleinern – vom Energiesparen bis zur Ernährung. Wichtig ist, dass wir für Veränderungen offen sind und sie als Chance begreifen.
Manz: Jeder einzelne Mensch sollte sich fragen, was er aufgeben könnte, ohne dass die Lebensqualität leidet. Ich zum Beispiel lebe in einer Großstadt, in der ich kein Auto brauche. Ich habe es vor drei Monaten abgegeben und noch keinen Tag vermisst.
Text: Detlef Dresslein
Fotos: iStock/Marcus Millo, privat